Donnerstag, 7. Januar 2010

Nackt im Netz

Seit einiger Zeit läuft im Kino ein Werbeclip der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit Unterstützung des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V.: Es geht um eine Initiative namens "Kenn dein Limit", die Alkoholmissbrauch insbesondere bei Jugendlichen verhindern will. Gute Sache, das. Alkohol, Volksdroge Nummer eins, wer einmal bei einem Fussballspiel/einem Dorffest/einer Pauschalreise nach Mallorca dabei war, der weiß, dass Alkohol "mehr kaputt macht als du denkst", so der zentrale Satz der Kampagne.
Die Kampagne, ach. Da ist leider weder Fußballspiel noch Dorffest zu sehen, sondern eine Situation, die wohl irgendwie einen Club darstellen soll (wobei jeder, der in den vergangenen zehn Jahren auch nur sporadisch tanzen war, weiß, dass das Gezeigte mit der Clubrealität wenig zu tun hat). Und junge Menschen, die noch voll gut drauf sind, denen Alkohol aber den Abend gehörig verderben wird. So:



Gleich am Anfang, zwischen 0:05 und 0:09, ist eine hübsche junge Frau zu sehen, mit erwartungsfrohem Gesichtsausdruck, der Abend wird sicher noch spannend. Sie zieht an ihrem Strohhalm, ein Schriftzug erscheint: "Sie feiert heute hemmungslos ..."
Bei 0:10 fokussiert die Kamera auf einen Schönling im Hintergrund, der augescheinlich die hübsche Tanzende mit seinem Handy filmt. Neuer Schriftzug: "... er stellt sie morgen nackt ins Netz." Bei 0:15 ist die Episode vorbei.
Und was lernen wir daraus? Es ist falsch, wenn man Grenzen überschreitet. Hemmungen sind eine gute Sache und gehören auf keinen Fall hinterfragt geschweige denn fallen gelassen. Und wenn du dich mit stalkenden Freaks einlässt, dann verlierst du schnell deine weibliche Ehre und landest nackt im Netz. Davon, dass Alkohol ein Problem ist, sagt der Spot bis hierhin übrigens nichts.
Besagte Szene läuft nicht nur im Kino, sie nervt auch an allen Hamburger S-Bahn-Stationen in Plakatform, wenn auch mit leicht verändertem Text: Statt "Sie feiert heute hemmungslos" heißt es hier "Sie lässt heute alle Hemmungen fallen". Daraus kann man schließen, dass wir bei 0:15 schon den zentralen Moment der Kampagne gesehen haben. Und der hat nichts mit Alkoholmissbrauch zu tun.

Die Kampagne ist widerlich. Weil sie geprägt ist von Angst vor Kontrollverlust, weil sie eine grundsätzliche Sexualitätsfeindlichkeit transportiert, weil sie Grenzen hochzieht, wo Grenzen doch eigentlich abgebaut werden sollten. Vor allem aber: Weil sie massiv kontraproduktiv wirkt. Die Kampagne spricht nicht etwa von kontrolliertem oder bewusst erlebtem Rausch, sie spricht ausschließlich davon, dass man immer bei sich zu sein hat, dass man keinesfalls Hemmungen fallen lassen darf. Sie zeigt nicht etwa schlimmes Gruppensaufen, sie zeigt jemanden im Begriff, Lust zu erleben - und dann wird ihm gesagt: Vorsicht, Lusterleben führt geradewegs in den Untergang.
Man kann gar nicht soviel saufen, wie man kotzen möchte.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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