Dienstag, 9. Februar 2010

Lokalrunde

"Die Zukuft der Zeitung liegt im Lokalen." Das sagt Joachim Braun, Redaktionsleiter beim Tölzer Kurier. Gut, er sagt das im Journalist, in einem Artikel zur Frage, wie ein guter Chefredakteur beschaffen sein soll, und so kann man die vollständige Aussage "Da die Zukunft der Zeitung im Lokalen liegt, muss ein guter Chefredakteur dort verankert sein" auch als Bewerbungsschreiben lesen. Nur ist sie mehr als das. Sie ist ein Mantra, das von Verlagsleitern ständig wiederholt wird: "Die Zukunft der Zeitung liegt im Lokalen." Als die Verlagsgruppe Ippen 2002 die Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine kaufte, wurden keine Stellen abgebaut, sondern Stellen umgeschichtet: vom überregionalen Teil ins Lokale. Scheint was dran zu sein: "Die Zukunft der Zeitung liegt im Lokalen."

Aber ist das wirklich so? Fakt ist, dass ein gut gemachter lokaler Politikjournalismus essentiell für die politische Willensbildung in einem Gemeinwesen ist: Wer schaut denn den Lokalpolitikern auf die Finger, wenn nicht die Journalisten? Der Spiegel schreibt nur selten eine Reportage, wenn sich ein Bürgermeister beim Ausschreiben des Neubaugebiets selbst ein Filetgrundstück unter den Nagel reist, zumal man beim Spiegel gar nicht den Überblick haben kann, was in Wehrheim, Barth und Hopfen am See gerade so Sache ist. Fakt ist weiter, dass ein gut gemachter lokaler Kulturjournalismus wichtig für die Kulturszene abseits der Metropolen ist: Die FAZ kommt nur selten ins Theater nach Marburg, Schleswig und Passau, zumal man bei der FAZ gar nicht den Überblick haben kann, welche Aufführung die Anreise überhaupt lohnen würde. Das müssen Lokaljournalisten machen.

Nur: Sie machen es nicht.

Lokaljournalismus ist heute in der Regel Wohlfühljournalismus, der den Bewohnern des jeweiligen Verbreitungsgebiets ein ums andere Mal erzählt, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Was zumindest mit meinen Erfahrungen rein gar nichts zu tun hat. Ich sage bestenfalls: Hier ist es schön, woanders aber auch (weswegen ich wahrscheinlich über kurz oder lang auch wieder woanders wohnen dürfte). Häufiger aber sage ich: Hier läuft ziemlich viel schief (weswegen ich mich ziemlich schnell nach einem neuen Wohnort umsehen sollte). Über dieses Schieflaufen erfahre ich im Lokaljournalismus aber so gut wie gar nichts.
Ein paar Beispiele, wahllos aus der aktuellen Ostsee-Zeitung aus Rostock (Auflage: 150200): Da geht es um eine junge Frau aus Ohio, die gerade in Wismar studiert und das, klar, nicht bereut. Durch den Rostocker Warnow-Tunnel fuhr der zweiundwanzigmillionste Fahrer und konnte sich, herzlichen Glückwunsch, über einen Geschenkkorb freuen. Das Dahlienfest in Bad Sülze feiert mit ganz originellen Werbeaktionen, natürlich, Erfolge. Alles so schön harmlos hier. Von den enormen sozialen Problem Mecklenburg-Vorpommerns: nichts. Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Wirtschaftskrise: Schweigen.

Ich kenne niemanden, der seine Lokalzeitung wirklich mag. Die Schöne sagt, sie muss das Hamburger Abendblatt (wird hier nicht mehr verlinkt, seit sie ihren Onlineauftritt kostenpflichtig gemacht haben) lesen, wegen ihres Berufs braucht sie Informationen, was in der Stadt vor sich geht. Akzeptiert - aber hier liest nicht etwa jemand die Lokalzeitung wegen ihrer Qualität, sondern nur mangels Alternative.
Nicht besser sieht es in den Städten aus, in denen ich zuvor gewohnt habe: Der Gießener Anzeiger galt in meiner Umgebung immer als Schundblatt. Die Ulmer Südwest Presse wurde als "Wildwest Presse" verballhornt. Der Berliner Tagesspiegel sahen alle als Haus- und Hofblatt des Westberliner Baumafia- und CDU-Filzes. Und, doch, eine Frau kenne ich, S., die mag ihre Lokalzeitung. Wobei S. in Frankfurt lebt und besagte Zeitung die Frankfurter Rundschau ist, die bei Licht betrachtet zwar ein Rhein-Main-Lokalblatt ist, vom Anspruch her sich selbst aber überregional einordnet. Und sich deswegen auch durchaus mal zu schreiben traut, dass die Rhein-Main-Region wohlstandsfette Provinz par excellence ist. Na gut, vielleicht in etwas anderen Worten.
Wir leben in einer Welt, die hektisch ist, globalisisert, multikulturell. Und ich fürchte, auf diese Welt haben Lokalzeitungen keine Antwort, nein, sie stellen nicht einmal die gleichen Fragen wie wir. Und ich verstehe absolut nicht, weswegen Joachim Braun glaubt, dass dieses Medium irgendeine Zukunft haben könnte.

Aber ich wünsche mir so sehr, dass es irgendwann einmal jemanden gibt, der so ähnliche Fragen stellt. Und der macht dann eine Lokalzeitung auf, schön wäre: in Hamburg. Mich hätte er als Abonnenten.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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