Bandschublade. Es geht um alles
http://bandschublade.twoday.net/
zahnwart
zahnwart
2010-06-20T15:37:00Z
en
hourly
1
2000-01-01T00:00:00Z
Bandschublade. Es geht um alles
http://static.twoday.net/icon.gif
http://bandschublade.twoday.net/
-
Nein, Liebste, das hat nichts mit uns zu tun
http://bandschublade.twoday.net/stories/nein-liebste-das-hat-nichts-mit-uns-zu-tun/
Manchmal, in langen Beziehungen, springt man zur Seite, grundlos. Beziehungsweise, natürlich gibt es einen Grund: Man hat einfach Lust auf etwas Neues. Man ist gelangweilt vom immergleichen Glück. Man möchte etwas erleben, was man noch nicht in- und auswendig kennt. Man möchte die Gelegenheit bekommen, einen Fehler zum ersten Mal zu machen. Man möchte etwas ausprobieren, selbst auf die Gefahr hin, dass es nicht funktioniert. Man möchte irgendwann wieder zurückkommen, sich unter Tränen eingestehen: Es hat wirklich nicht funktioniert, hier war es viel schöner, lass es uns noch einmal versuchen, bitte.<br />
<br />
Man kann sich nicht wehren. Wenn es passiert, dann passiert es. Und schuld daran hat niemand.<br />
<br />
Was ich eigentlich sagen möchte: Die Bandschublade zieht um. Zu Wordpress. Vielleicht nur für ein paar Tage, vielleicht für immer. Regelmäßige Leser sollten ihre Bookmarks aktualisieren, bis auf weiteres läuft alles wie gewohnt weiter, nur eben unter <a href="http://bandschublade.wordpress.com/">http://bandschublade.wordpress.com/</a>.<br />
<br />
Und ansonsten bleibt natürlich aktuell: <a href="http://bandschublade.wordpress.com/2010/06/20/aus-der-bandschublade/">Was die Bandschublade sein könnte</a>.
zahnwart
Was die Bandschublade sein könnte
Copyright © 2010 zahnwart
2010-06-20T15:28:00Z
-
Richtersprüche
http://bandschublade.twoday.net/stories/richtersprueche/
<a href="http://www.danielrichter.com">Daniel Richter</a> zieht um. Nun gut, es ist noch keine Nachricht, dass ein geschätzter zeitgenössischer Maler nach Berlin zieht. Überhaupt, dass Daniel Richter ein Hamburger Künstler sei, war ohnehin ein großes Missverständnis: <a href="http://www.cfa-berlin.com/">Seine Galerie</a> sitzt in der Hauptstadt, er hat dort eine Wohnung und ein Atelier, seine Sujets findet er eher in Berlin als in Hamburg. Bemerkenswert ist, wie Daniel Richter seinen Abschied aus der Hansestadt inszeniert: als Generalabrechnung. In einem <a href="http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1538499/Die-Kulturpolitik-hier-ist-ein-Desaster.html">Interview</a> mit dem Zentralorgan bräsig-selbstgefälligen Hanseatentums, dem <a href="http://www.abendblatt.de">Hamburger Abendblatt</a>, wirft Richter der zweitgrößten Stadt Deutschlands kulturpolitisches Totalversagen vor. <a href="http://www.schauspielhaus.de">Schauspielhaus</a>, <a href="http://www.hamburger-kunsthalle.de">Kunsthalle</a>, Galerien: allesamt bestenfalls Kreisklasse.<br />
<br />
Mir ist es egal, wo Daniel Richter wohnt, ob seine Bilder in Hamburg entstehen oder in Berlin oder in Oberammergau, ist mir wurscht. Außerdem mag ich Berlin, und eine spannende Ausstellung ist allemal ein Grund, ein Wochenende in der Hauptstadt zu verbringen. Was mir mehr fehlen wird, ist das charmante Theater <a href="http://www.fleetstreet-hamburg.de/">Fleetstreet</a> von Richters Frau Angela, dessen Zukunft in den Sternen steht: Theater ist im Gegensatz zu Bildender Kunst ortsgebunden, in Zukunft werde ich weinen, wenn ich durch den ehemaligen Fleetstreet-Standort Admiralitätsstraße gehe. Aber wen interessiert, wenn ich weine?<br />
Was allerdings schon interessant ist, ist Richters Befund über die Hamburger Kultur: "Alle, die künstlerische Ambitionen haben, sind in Berlin. Nach Hamburg kommt einfach niemand mehr", sagt der Maler im Abendblatt-Interview. "Die großen Häuser hier liegen am Boden. <a href="http://www.schauspielhaus.de">Schauspielhaus</a> und <a href="http://www.hamburger-kunsthalle.de">Kunsthalle</a>, verglichen mit <a href="http://www.kampnagel.de">Kampnagel</a> und<a href="http://www.kunstverein.de"> Kunstverein</a> - da liegen Kampnagel und Kunstverein eindeutig leider vorn." Was Richter allerdings verschweigt (und dass hier nicht nachgefragt wurde, sagt viel über das journalistische Niveau des Abendblatts aus), ist: Auch in Berlin sind die großen Kulturinstitutionen nicht gerade Weltspitze. Die <a href="http://www.smb.museum/smb/home/index.php">Staatlichen Museen</a> - in ihrer Größe gefangen, unfähig zu wichtigen Einzelausstellungen. Das <a href="http://www.deutschestheater.de/">Deutsche Theater</a> - nach einem halbherzigen Start auf dem Weg in die Irrelevanz. Die <a href="http://www.volksbuehne-berlin.de">Volksbühne</a> - heillos zerstritten. Der Unterschied zu Hamburg ist: In Berlin gibt es einen kreativen Humus, in Berlin gibt es aktive, sich ständig neu erfindende Galerien, in Berlin gibt es, das vor allem, Geld für künstlerische Basisarbeit. Dass so ziemlich jeder junge Theatermacher direkt nach seinem Abschluss nach Berlin zieht, liegt a) an den immer noch konkurrenzlos günstigen Mieten b) an der Tatsache, dass hier lauter Gleichgesinnte leben, mit denen man gemeinsam Projekte angehen kann und c) am <a href="http://www.hauptstadtkulturfonds.berlin.de">Hauptstadtkulturfonds</a>. Ohne solche Fördermöglichkeiten lässt sich avancierte junge Kunst hierzulande schlicht nicht realisieren. Jemand wie Daniel Richter hat solch eine Förderung nicht mehr nötig - aber wer will es ihm verdenken, dass er gerne Leute um sich hat, die solch eine Förderung sehr wohl nötig haben?<br />
<br />
Wenn man sich diese Förderungskanäle anschaut, wird deutlich, dass die Frage nach einem individuellen Wohnort ganz schnell eine politische Frage geworden ist. Die Gesellschaft stellt es jungen Künstlern nicht mehr frei, nach Berlin zu ziehen, wenn sie möchten - sie zwingt junge Künstler, nach Berlin zu ziehen. In der Kulturszene entwickelt sich gerade ein Zentralismus, wie man ihn nicht einmal aus dem Parisfixierten Frankreich kennt (wenn man davon absieht, dass gerade die französische Kulturpolitik mittlerweile den anderen Weg geht und bevorzugt Projekte in den Regionen fördert). Das war schon einmal anders. Es gab einmal den Aufstieg des <a href="http://www.schauspielhausbochum.de/start/index.php">Bochumer Schauspielhauses</a> zum wichtigsten Theater der Republik, es gab <a href="http://www.pina-bausch.de/">Pina Bausch</a> in Wuppertal, vorbei, heute nicht wiederholbar. Das war alles zu Zeiten von Willy Brandt, da ging es darum, mehr Demokratie zu wagen, und Ausdruck dieser unaufgeregten Demokratie war ein ausgeprägter Föderalismus, nicht zuletzt in kulturellen Fragen. Heute ist alles anders, wir sind wieder wer, und Berlin ist am Meisten.<br />
<br />
<a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/superminister/">Und das ist Deutschland hier.</a>
zahnwart
Real life, omg
Copyright © 2010 zahnwart
2010-06-19T12:54:00Z
-
Bedways
http://bandschublade.twoday.net/stories/6380101/
<object width="560" height="340"><param name="movie" value="http://www.youtube-nocookie.com/v/GvaIyLMlRPw&hl=de_DE&fs=1&"></param><param name="allowFullScreen" value="true"></param><param name="allowscriptaccess" value="always"></param><embed src="http://www.youtube-nocookie.com/v/GvaIyLMlRPw&hl=de_DE&fs=1&" type="application/x-shockwave-flash" allowscriptaccess="always" allowfullscreen="true" width="560" height="340"></embed></object><br />
<br />
Okay, Filme über Sex, das ist so eine Sache. Weil Film eine optische Geschichte ist, die ihre strukturelle Nähe zum Voyeurismus nie verleugnet, steht im Film gezeigter Sex immer im Verdacht, pornografische Verfahrensweisen anzuwenden. Das ist nicht schlimm (aber langweilig), wo ein Film sich dieser strukturellen Nähe bewusst ist, das ist entsetzlich schwiemelig, wo ein Film im Gegenteil diese Verfahrensweisen anklagen möchte.<br />
Natürlich kann sich der Regisseur retten. Indem er Sex ausspart, den Sex quasi hinter dröhnendem Schweigen versteckt. Am elegantesten machte das Richard Linklater 1995 in <a href="http://www.imdb.com/title/tt0112471/">"Before Sunrise"</a>, bloß irgendwohin brachte einen das nicht. Oder aber der Film wird bewusst explizit, Arthouse Porn. Bei <a href="http://www.imdb.com/title/tt0411705/">"9 Songs"</a> funktionierte das 2004 ganz gut, weil der Michael Winterbottom damals mit entwaffnender Ehrlichkeit Sex und laute, exzessive Rockmusik parallel schaltete. Wenn man allerdings nicht mehr an die exzessive Kraft der Rockmusik glaubt, dann ist "9 Songs" auch nur ein Porno mit konventionell gefilmten Livemusikpassagen dazwischen, schad'.<br />
<br />
RP Kahls <a href="http://www.imdb.com/title/tt1545022/">"Bedways"</a> ist da konsequenter, weil Kahl das Problem, einen Film über und mit Sex zu drehen, zum Thema seines Films macht. Eine junge Regisseurin verschanzt sich mit einem Schauspieler, einer Schauspielerin und rudimentärem Drehinstrumentarium in einer leeren Altbauwohnung. Gefilmt wird Sex, der zwar zunehmender Drehdauer immer echter wirkt, gleichzeitig aber in einer Gegenbewegung Pornographie immer ähnlicher wird. Am Ende steht ein gemeinsamer Orgasmus, ironischerweise in den Masturbationszellen eines Schwulenclubs, vor Kamera und Bildschirm. Gefilmter Sex ist eine Leerstelle, und diese Leerstelle umkreist Kahl mit seinem Film.<br />
Natürlich darf man solche Filme von Herzen hassen: die gekünstelten Dialoge, den Kunstanspruch, die forcierte Abgefucktheit des Settings. Man darf aber auch mal einfach konstatieren, dass Kahl zumindest das Problem erkannt hat. Dass er sich diesem Problem verhältnismäßig ungeschickt nähert, ist nicht schön - eine Alternative gibt es aber meiner Meinung nach nicht.
zahnwart
Bretter, Stoffe
Copyright © 2010 zahnwart
2010-06-14T10:49:00Z
-
Wir Nazienkel
http://bandschublade.twoday.net/stories/6375980/
<a href="http://www.politische-psychologie.de/politik.html">Politische Psychologie</a> ist eine eigenartige Disziplin. Politische Psychologie erklärt das, naja, spezielle Verhältnis der jüngeren deutschen Linken gegenüber Israel, und zwar nach dem Prinzip: Wir haben uns so intensiv mit den Untaten unserer Großväter auseinander gesetzt, wir haben uns so leidenschaftlich von ihnen distanziert, dass wir Israel mit aller Härte kritisieren dürfen. <a href="http://www.b-movie.de/info/stellungnahme.php3">Ohne Rücksicht auf Verluste.</a><br />
Klingt blödsinnig, aber vielleicht ist ja was wahres dran. Dass eine linke Gruppe aus dem "Internationalen Zentrum B5" eine (durchaus umstrittene) Filmvorführung im Hamburger Kino B-Movie dadurch torpediert, indem sie die Kinobesucher einen improvisierten Checkpoint passieren lässt und <a href="http://www.sol-hh.de/dateien_fuer_index/B5-Stellungnahme-Antid.htm">nichtmal merkt</a>, was es im Kontext Israel für Bilder weckt, wenn Deutsche Andersdenkende durch einen Stacheldrahtverhau treiben, das ist schon ein starkes Stück.<br />
<a href="http://www.welt.de/kultur/article5379741/Diese-Linken-haetten-eins-auf-die-Muetze-verdient.html">In der "Welt" erklärt</a> Maler <a href="http://www.danielrichter.com">Daniel Richter</a> diese grauenhaft aus dem Ruder gelaufene Inszenierung mit der oben skizzierrten Politischen Philosphie: "(...) an Israel will man etwas beweisen. Man will beweisen, dass man mindestens genauso gut ist wie der Gegenüber. Vielleicht sogar besser. Man will die eigene moralische Überlegenheit demonstrieren. Die Kinder der Nazis wollen gerechter sein als die Juden, um den Juden beweisen zu können, dass diese mit der Staatsgründung Israels genauso Verbrecher geworden sind wie die Nazis." Der (mittlerweile zu diesem Artikel nicht mehr zugängliche) Kommentarbereich haut (wie in den Kommentaren der <i>Welt</i> üblich) Richters differenzierte Analyse über den Haufen und lässt die rechte Volksseele hemmungslos wüten: Die Linken sind die wahren Antisemiten, rechte Antisemiten gibt es eigentlich gar keine. Was historisch natürlich Blödsinn ist, aber historisch firm sind <i>Welt</i>-Leser bekanntermaßen grundsätzlich nicht.<br />
<br />
Das ist die eine Seite. Die andere ist die: Muss ich, nur weil ich Deutscher bin, mir meiner historischen Verantwortung bewusst bin und die Politische Ästhetik der "Warum Israel"-Blockade unerträglich finde, die israelische Politik grundsätzlich gut finden? Denn es gibt nicht nur die Linke, die sich vor Hamburgerb Kinos unmöglich macht und so zumindest auf der optischen Ebene eine Verbindung zum Faschismus herstellt, es gibt beispielsweise die <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd0405/t030405.html">Antideutschen</a>, die als reflektierte Nazienkel jede politische Frage mit der Frage verknüpfen, was das jeweilige Thema mit ihrer bedingungslosen Solidarität mit Israel zu tun hat. Was ganz eigene Koalitionen zur Folge hat: <a href="http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2145701,00.html">Antideutsche etwa waren im Irakkrieg pro Bush</a>, weil Bush laut dieses verqueren Weltbilds gegen den Irak war und der Irak erklärtermaßen gegen den Staat Israel war.<br />
Ohnehin ist <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Philosemitismus">Philosemitismus</a> heute im Gegensatz zur Weimarer Republik eher rechts zu Hause: Der Springer-Verlag etwa hat die Solidarität mit Israel an prominenter Selle in seinen <a href="http://www.axelspringer.de/artikel/Unternehmensgrundsaetze_40574.html">Unternehmensgrundsätzen</a> festgeschrieben.<br />
<br />
In seinem Verhältnis zu Israel kann man als durchschnittlicher linker Nazienkel demnach eigentlich nur alles falsch machen. Entweder man positioniert sich eindeutig Anti-Israel, dann steht man plötzlich in faschistischer Ästhetik vor Kinos rum und bekommt womöglich noch <a href="http://www.zachseinblog.de/index.php/2010/05/31/zachdenktnach-null-punkte-aus-israel/">Applaus von Altnazis</a>, die schon immer der Meinung waren, dass Opa vor 70 Jahren seinen Job einfach nicht gut genug gemacht hat. Oder aber man gibt sich pro-israelisch und findet sich über die Solidaritätsschiene plötzlich mit Rechtskonservativen im gleichen Bett wieder. Differenziert sein kann man nicht, und da haben wir wieder die Fallstricke der Politischen Psychologie. Die Logik sagt: Ja, man muss Israel vernünftig kritisieren können. Aber, leider, Psychologie ist nicht logisch.<br />
<br />
Nein, ich weigere mich, beim <a href="http://www.tagesschau.de/ausland/israelangriff102.html">Ship-to-Gaza-Zwischefall</a> ausschließlich auf die israelische Berichterstattung zu vertrauen. Ich glaube grundsätzlich, dass es nicht nötig ist, eine hochgerüstete Militäreinheit ein Massaker veranstalten zu lassen, weil sie von Terroristen (?) mit Waffen wie Stahlknüppeln (!) angegriffen werden.<br />
Doch, ich glaube, dass die israelische Bevölkerung ein Recht auf friedliches Leben in einem eigenen Land hat. Und ich denke auch, dass es historisch begründbar ist, dieses Land in der Gegend des heutigen Staates Israel anzusiedeln.<br />
Nein, ich habe meine Zweifel an der Tauglichkeit der <a href="http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/artikel/85/637885/multi.htm">Zwei-Staaten-Lösung</a>. Wie sollte ein eigenständiger Palästinenserstaat überlebensfähig sein? Unabhängig von Israel, das wird schon geographisch schwierig. Die einzige Möglichkeit für einen Palästinenserstaat wäre eine Achse Gaza-Damaskus-Teheran - und die können weder Israel noch die USA wollen.<br />
Überhaupt, die USA. Ich würde nie behaupten, dass der Staat Israel ein Produkt der USA wäre. Aber: Den USA kommt es sehr gelegen, mit Israel einen eindeutig westlich orientierten Verbündeten im Nahen Osten zu haben. Und, tut mir leid, als jemand der die Rolle der USA in der Welt mehr als kritisch betrachtet, habe ich bei dieser Konstellation Bauchschmerzen, zumal Israel als einziger Staat Atomwaffen besitzt.<br />
<br />
Über diese Punkte würde ich mir gerne Gedanken machen. Klappt nicht. Meine Psyche steht mir im Weg, wieder mal.
zahnwart
Real life, omg
Copyright © 2010 zahnwart
2010-06-11T11:36:00Z
-
Eine kleine Geschichte des Nationalismus
http://bandschublade.twoday.net/stories/eine-kleine-geschichte-des-nationalismus/
Als dann klar war, dass <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/6358381/">Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewonnen hatte</a>, da stotterte die sympathische junge Frau etwas atemloses in die Kamera, während von hinten jemand kam und ihr eine Deutschlandfahne in die Hand drückte. Die sie im folgenden mehr oder weniger unmotiviert mit sich rumschleppte, ihren harmlosen Song ein weiteres Mal sang und mit dem nationalen Symbol, das von nun ab an ihr hing, augenscheinlich fremdelte.<br />
Am Folgetag dann gab Meyer-Landrut eine Pressekonferenz in Oslo, und sie gab sie auf Deutsch. Weil Deutschland ja auch gewonnen habe. Wir waren befremdet, ließen es ihr aber durchgehen. Westerwelle, übrigens, <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/superminister/">ließen wir das gleiche nicht durchgehen</a>, warum eigentlich? Gleichzeitig tauchten Bilder auf, auf denen Meyer-Landrut grölte, "Ich liebe deutsche Land", einen Schlager, halbironisches Pidgin-Deutsch, na gut, dachten wir, der Alkohol! Das Testosteron! Ach!<br />
Und seither sehen wir Meyer-Landrut nicht mehr ohne Schwarzrotgold. Sie fremdelt nicht mehr. Jetzt ist sie doitsch, endgültig.<br />
Das <a href="http://www.marx-blog.de">Marxblog</a> hat übrigens sehr hübsch <a href="http://marx-blog.de/2010/05/null-punkte-aus-israel/#more-7157">dokumentiert</a>, wo dieses Doitsche zur gleichen Zeit hinführte. Es ist widerlich: Die dünne Schicht Zivilisation und Kultur ist in diesem verabscheuungswürdigen Land so brüchig, es braucht nur eines marginalen Anstoßes, eines Schlagerwettbewerbs, dass sie verschwindet. Ich hoffe inständig, dass Doitschland bei der Fußball-WM sehr, sehr früh ausscheidet, echt.<br />
<br />
(Und bei Gelegenheit schreibe auch mal wieder was sinnvolles. Über Israel und Gaza. Oder so.)
zahnwart
Nach dem 27.9.2009
Copyright © 2010 zahnwart
2010-06-03T19:17:00Z
-
Lena Müller-Lüdenscheid, äh, Dings
http://bandschublade.twoday.net/stories/6358381/
Da hat also <a href="http://www.lena-meyer-landrut.de/">eine junge Frau</a> einen <a href="http://www.eurovision.tv">Schlagerwettbewerb</a> gewonnen, mit einem Song, der nicht besonders originell war aber nett, mit einer Stimme, die nicht besonders variabel war aber eigenwillig, mit einem Auftritt, der nicht besonders spektakulär war aber sympathisch. Lena Meyer-Landrut, 19 Jahre, aus Hannover, ist die Gewinnerin des Eurovision Song Contest 2010, Herzlichen Glückwunsch auch.<br />
<br />
"Satellite", der Siegersong, ist harmloser Pop, sparsam instrumentiert, halbwegs up-to-date, bei Licht betrachtet ein recht dreister <a href="http://www.katenash.co.uk/">Kate-Nash</a>-Ripoff, warum auch nicht, ist egal. Das ist nicht wichtig, wichtig ist der Hintergrund, für den Lena Meyer-Landrut steht, das gute, undogmatische Bürgertum, aber auch: eine Jugendlichkeit, die vollkommen selbstverständlich mit Medien umgeht. Manche behaupten, dass Meyer-Landrut sich konsequent den Medien verweigert hätte, aber das stimmt so nicht: Sie hat mit den Medien gespielt, aber zu ihren Bedingungen, nicht zu den Bedingungen der Medien. Sie trat schon vor ihrer Sängerinnenkarriere im Fernsehen auf, als Komparsin bei diversen Trashformaten im Privat-TV, das war nicht schön, aber es war selbstbestimmt. Meyer-Landrut steht für Medienkompetenz, wie sie vor zehn Jahren noch unvorstellbar war: Wer heute 19 ist, hat eine große Auswahl an Möglichkeiten, auf dem Bildschirm zu erscheinen, und wenn er tatsächlich nicht von einer Redaktion ausgewählt wird, dann dreht er eben selbst einen Youtube-Clip. Lena Meyer-Landrut weiß um diese Möglichkeiten, und sie weiß auch die Gefahren, die drohen, wenn man die Möglichkeiten nutzt. Wenn sie sich verweigert, wenn sie bockig "Nöööööt!" quäkt, auf eine RTL-Frage zu ihrer Familie, dann ist das keine jugendliche Unbekümmertheit, wie ihr oft attestiert wird, dann ist das auch keine Arroganz, das ist ein Schutzmechanismus. Der nicht immer einwandfrei funktioniert, aber dennoch verhältnismäßig zuverlässig ist.<br />
Schön auch, dass Meyer-Landrut mit bestimmten Medien grundsätzlich nicht redet, namentlich: der Bild. Das liegt nicht nur an ihr, das liegt auch an ihrem Mentor <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Raab">Stefan Raab</a>, über dessen Einfluss auf Lenas Medienverhalten nur spekuliert werden kann - ich nehme an, er ist riesig. Raab spricht ebenfalls nicht mit Bild, Raab pocht auf sein (<a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/6347179/">meiner Meinung nach nicht unproblematisches</a>) Recht, Privates vollkommen abzuschirmen. Aber: Es ist schön, wenn jemand einen Massenerfolg hat, ohne mit Springer zu paktieren. Und wenn jemand lieber mit arte spricht als mit RTL, dann ist das auch sympathisch.<br />
<br />
Traurig allerdings: Meyer-Landrut mag sympathisch sein, sie ist in keiner Weise mehr Camp. Und eigentlich mochte ich den Eurovision Song Contest, diese bei Licht betrachtet entsetzlich öde Veranstaltung, doch in erster Linie wegen ihres Camp-Charakters. Vorbei, nicht nur bei Meyer-Landrut. Überhaupt war dieser Abend geprägt von Understatement und nicht von unfreiwillig überbordenden Gefühlen, von pathetischen Orchestern, von wilden Kostümorgien inclusive reißender Schärpen. Einzig der Isländische Marianne-Rosenberg-Abklatsch versuchte da noch ein wenig mitzuspielen, leidlich erfolglos (der Song war aber auch arg lieblos). Und wenn man <a href="http://www.hapekerkeling.de/">Hape Kerkeling</a>, der immerhin noch die deutsche Juryentscheidung per Videoeinspielung übermitteln durfte) als schwules Klischeebild einordnen möchte, dann bildet Stefan Raab das heterosexuelle Gegenstück zu diesem Klischee.<br />
Und Meyer-Lanrut? Die steht für eine nette, selbstbestimmte, leicht widerborstige Sexualtät jenseits aller Klischees. Bei ihr wird nicht getuckt, nicht geschmachtet, bei ihr wird geflirtet, und wenn man eine Abfuhr bekommt, dann können beide drüber lachen.<br />
<br />
Nicht dass mir das unangenehm wäre - im wahren Leben ist mir solch ein ironisch-abgeklärter Umgang mit Sexualität weitaus lieber als ausgestellte Schwuppenästhetik. Aber ein wenig schade finde ich es doch, dass mit dem Sieg des Anti-Camp-Modells Lena eine Kultur recht mitleidslos ins Abseits geschoben wird: die des Schlagers als explizit schwule Camp-Veranstaltung.<br />
<br />
<i>Ich verlinke "Satellite" hier nicht. Weil die Herren von Raabs Firma Brainpool ohnehin alles schnell wieder löschen lassen (und damit beweisen, dass sie zwar Ahnung von klassischem Marketing haben, nicht aber von viralen Formen.<br />
Außerdem verweise ich auf das </i><a href="http://oslog.tv/188/oslog-live-eurovision-song-contest-2010/">tolle Liveblogging</a> der geschätzten <a href="http://www.coffeeandtv.de/">Lukas Heinser</a> und <a href="http://www.stefan-niggemeier.de/blog/">Stefan Niggemeier</a> auf <a href="http://oslog.tv/">oslog.tv</a>.
zahnwart
Schubladendenken
Copyright © 2010 zahnwart
2010-05-30T11:24:00Z
-
Ich, ich, ich
http://bandschublade.twoday.net/stories/ich-ich-ich/
<img title="" height="225" alt="13-c-Aino_Laberenz" width="400" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/13-c-Aino_Laberenz.jpg" /><br />
<i>Foto: Aino Laberenz</i><br />
<br />
<a href="http://www.schlingensief.com/">Christoph Schlingensief</a> ist, auf jeden Fall, ein Guter. Ein Kunstkopf, einer, der begeistert ist von ästhetischen Mechanismen, ein sprühender Geist, den man nicht anhalten kann, nicht einzwängen, nicht formieren. Der sich, während er heißläuft, immer wieder selbst in Frage stellt, immer wieder von neuem. Der ist ein Guter.<br />
<br />
Ein Guter, der ganz tief drin steckt im europäischen Theaterestablishment, das allerdings auch. Auf <a href="http://www.kampnagel.de">Kampnagel</a> war die Deutsche Erstaufführung seines Projekts "Via Intolleranza II", Uraufführung war kurz davor beim <a href="http://www.kfda.be/splash/">Kunstenfestivaldesarts</a> in Brüssel, demnächst gibt es noch Aufführungen in der <a href="http://www.bayerische.staatsoper.de/">Bayerischen Staatsoper</a> München und bei den <a href="http://www.festwochen.at">Wiener Festwochen</a>, Dramaturg der Produktion ist Helene Hegemanns Vater <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Hegemann">Carl</a>, Kostümbildnerin Schlingensief-Gattin Aino Laberenz. Das ist kein Problem, nur: dass Schlingensief seine Verknüpfung in diese Strukturen nicht problematisiert, wo er doch sonst alles problematisiert, das fällt schon auf.<br />
<br />
Aber egal, wir sprechen über das konkrete Kunstwerk, wir sprechen über "Via Intolleranza II", ein Projekt nach Luigi Nonos Oper "Intolleranza 1960". Bei Nono geht es um die Desillusionierung eines (eigentlich unfreiwillig) revolutionären Bergarbeiters, bei Schlingensief geht es um die Desillusionierung einer (nicht unsympathisch) weltverbessernden Kulturbetriebsnudel. Nämlich so: Seit 2009 werkelt Schlingensief an seinem Projekt "<a href="http://www.festspielhaus-afrika.com/">Festspielhaus Afrika</a>" in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, einer Mischung aus Wagnerianischer Kunstideenarchitektur und konkreter Entwicklungshilfe, die nach Fertigstellung ein Opernhaus, Kunstschulen und Wohnungen beinhalten soll. "Via Intolleranza II" ist eine Art Manifestation dieser Festspielhaus-Afrika-Idee, produziert mit einheimischen Künstlern in Ouagadougou, die streckenweise autonom agieren, mal rappen, mal tanzen, mal offensiv nach einer Frau suchen. Das wäre ganz in Ordnung, allerdings wäre es auch öde und würde einen rein gar nicht weiter bringen.<br />
Gut aber, dass Schlingensief einer ist, der nicht still sitzen kann. Vor allem: Gut, dass Schlingensief einer ist, der es nicht aushält, dass da Afrikaner auf der Bühne stehen und Sachen machen, die nicht ausschließlich von ihm handeln, von Schlingensief. Also greift er ins Stück ein, also handelt das Stück plötzlich davon, dass Schlingensief bezweifelt, dass sein Engagement in Burkina Faso wirklich das richtige ist. Und wo wir schonmal dabei sind, dreht er diese Zweifelsschraube noch eine Stufe weiter, es geht nicht mehr um Schlingensief, es geht um uns europäische Zuschauer, die Interesse an einem Kontinent heucheln, der uns doch eigentlich am Arsch vorbei geht. Aber, halt, natürlich geht es nicht um uns, es geht um Schlingensief, "Ich, ich, ich!" ruft er und erzählt von seiner Chemotherapie, die mit Ouagadougou nun wirklich rein gar nichts zu tun hat. Ein großartiger Wirrwarr.<br />
<br />
Am Ende zieht sich der Künstler zurück aus Afrika. Geld sollen wir schicken, nach Ouagadougou, aber wir sollen dort nichts machen, wir sollen sie in Ruhe am Operndorf arbeiten lassen. Das leuchtet ein, ein ganz einfaches Scheitern, der gute Wille ist am Ende, da ist Schlingensiefs Künstlerfigur ganz nahe an Luigi Nonos Bergarbeiter. Wir werden noch beschimpft, angeschnorrt, dass wir ans Operndorf spenden sollen, dann entlässt uns diese wilde, wirre High-Society-Veranstaltung in die Nacht. Toll.<br />
Aber: eben auch sinnlos. Weil das Thema, Afrika, in dieser Assoziationshölle hoffnungslos zerschreddert worden ist, bleibt nur noch eines im Vordergrund: das persönliche Schicksal des Christoph Schlingensief, problembehaftet, belastet, beschwert. Ich, ich, ich: Womöglich hat er recht, womöglich ist das wirklich das einzige, was man wirklich sagen kann.<br />
<br />
Und dann wäre "Via Intolleranza II" natürlich eine entsetzlich nachvollziehbare Bankrotterklärung des Theaters.
zahnwart
Bretter, Stoffe
Copyright © 2010 zahnwart
2010-05-26T18:11:00Z
-
Harz Vier (Gehen)
http://bandschublade.twoday.net/stories/6348974/
<img title="" height="300" alt="DSCF1400" width="400" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/DSCF1400.jpg" /><br />
<i>Foto: Bernd Völkel</i><br />
<br />
Wandern ist uncool. Wer einmal die Nacht auf einer Berghütte verbracht hat, versteht auch, weswegen: Beim Wandern macht man sich gemein mit unangenehmen, reaktionären, alten Männern, man singt sexistische Lieder, man erhebt sich chauvinistisch über andere, man begrüßt sich am Gipfel mit "Berg Heil!".<br />
Andererseits: Wer einmal eine Reise im Ferienflieger nach Mallorca mitgemacht hat, macht ähnliche Erfahrungen, und dennoch ist ein Urlaub auf Mallorca nicht uncool. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass Mallorca nur in den Tourismusburgen uncool ist, das Hinterland aber ist ein Traum, und den Ferienflieger muss man eben auf sich nehmen, zweieinhalb Stunden lang, um sich direkt nach der Landung von den Uncoolen abzusetzen. Und ebenso ist auch die Berghütte nur Mittel zum Zweck: Da muss man durch, leider. Aber zu tun hat man nichts mit den Sexisten, den Chauvinisten, den Uncoolen, die im Matratzenlager nach Bier stinken, nach Selbstgerechtigkeit und nach tagelang nicht gewechselter Unterwäsche.<br />
<br />
Da muss man durch, um später ein Glücksgefühl zu haben. Einen Fuß vor den anderen zu setzen, nicht mehr zu sprechen, irgendwann: nicht mehr zu denken. Über Stunden keinen anderen Menschen mehr zu sehen, durch den Wald, über Wiesen, später dann über bloßen Stein. Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Weiter. Gehen.<br />
Es geht nicht um den Gipfel. Achtermann, 926 Meter über Null, ein Witz: Wenn man einem Bergsteiger erzählt, dass man den dritthöchsten Berg Niedersachsens erklommen hat, der lacht einen doch aus. Es geht nicht um Höhenmeter, es geht nicht um schöne Aussichten, es geht auch nicht um irgendeine erbrachte Leistung, einen anstrengenden Aufstieg oder eine spektakuläre Klettereinlage oder einen kulturhistorisch bedeutenden Wanderweg. Es geht nur noch ums: Gehen. Einen Fuß vor den anderen. Einsamkeit. Spüren.<br />
<br />
Im Wanderführer zu La Gomera steht, dass man eine Gegend erst dann richtig kennengelernt hat, wenn man sie erwandert hat. Das stimmt. Der Wanderer nimmt den Charakter der Landschaft in sich auf, durch die Muskeln, durch die Fußsohlen. Weil er auf der Wanderung mit der Landschaft alleine ist, mit ihr atmet, mit ihr horcht. Das ist so ähnlich wie mit Städten: Man lernt eine Stadt auch nicht dadurch kennen, dass man eine Stadtrundfahrt im Touristenbus macht. Die Stadt lernt man dadurch kennen, dass man sich in die Straßenbahn setzt und bis zur Endhaltestelle durchfährt. Dass man sich in eine langweilige Kneipe setzt und ein Bier trinkt, und dann noch eines. Dass man durch Wohngebiete schlendert, ohne Ziel.<br />
<br />
Das Ziel der Wanderung ist der Wald. Das modrige Holz, die Schneereste auf dem Weg, der Wind, der durch die kahlen Bäume jagt. Das Ziel ist nicht der Achtermann: Auf dem Achtermann warten sie doch schon wieder auf mich. Die Uncoolen.
zahnwart
Cat Content
Copyright © 2010 zahnwart
2010-05-23T10:29:00Z
-
Sprechen
http://bandschublade.twoday.net/stories/6347179/
Interviews sind eine eigenartige journalistische Form. Man sitzt mit jemandem beim Kaffee, der antwortet auf Fragen, und hinterher schreibt man einen Text, in dem der Gesprächspartner anderes sagt als das, was er erzählt hat.<br />
<br />
Oh je, <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/das-habe-ich-so-nie-gesagt/">gleich brüllen sie wieder</a>, "Journalisten verfälschen Interviews, ich hab's ja schon immer gewusst!"<br />
Nein, natürlich verfälschen wir keine Interviews. Wir lassen nur niemanden wie einen Trottel dastehen, wenn er in Wahrheit kein Trottel ist. Wer schon einmal das wörtliche Transkript eines Gesprächs gelesen hat, der wird mir zustimmen: Das ist nicht lesbar. Das gibt auch nicht die Eigenarten des Gesprächspartners wieder, mit allen Verkürzungen, allen Äh, Öhs, allen nicht zuende geführten Sätzen und allen Wortwiederholungen. Ein Gespräch ist mehr als das gesprochene Wort, und ein gedrucktes Interview muss dieses "Mehr" nachzeichnen, obwohl nur gesprochene Worte gedruckt werden. Deswegen bearbeiten wir Interviews.<br />
<br />
Aber: Warum dann nicht von vornherein einen eigenen Text, warum diese Illusion eines Gesprächs, das so doch nie geführt wurde?<br />
Weil das Gespräch schon längst begonnen wurde, lange bevor wir den Kaffee einschenkten. Zumindest wenn ich mich mit Kunst beschäftige: Ein Kunstwerk gibt keine Antworten, ein Kunstwerk stellt Fragen. Wenn ich einen Künstler interviewe, führe ich diese Fragestellungen weiter, stelle Gegenfragen, werde irritiert, gerate auf den Holzweg, finde wieder in die Spur.<br />
Das sind Fragen, die nur mittelbar mit dem konkreten Kunstwerk zu tun haben - und dennoch reden wir immer nur über dieses Kunstwerk, sonst über nichts. Ich halte wenig davon, einen Künstler zu fragen, was er von der Gesundheitsreform hält, aber wer weiß, vielleicht sprechen wir über die Gesundheitsreform, wenn wir über sein Kunstwerk sprechen? Genauso die Fragen nach "Privatem", die viele nicht so gerne mögen, weil sie doch nur über ihren Beruf sprechen möchten. Was soll das? Mich interessiert kein Gossip, mit wem der Künstler schläft, ist mir egal. Was mir nicht egal ist: Ob er mit einem Mann schläft oder mit einer Frau, ob er überhaupt mit jemandem schläft. Weil es vermessen ist, den Einfluss von Sexualität auf unsere Weltsicht zu negieren (und weil ich glaube, dass zum Beispiel die Erfahrung eines Coming outs so prägend ist für eine Persönlichkeitsentwicklung, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass unter heterosexuellen Bedingungen entstandene Kunst sich nicht von unter homosexuellen Bedingungen entstandener Kunst unterscheidet).<br />
<br />
<a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_von_Uslar"><br />
Moritz von Uslars</a> 100-Fragen-Interviews fürs Magazin der Süddeutschen Zeitung (als Beispiel <a href="http://www.sueddeutsche.de/kultur/808/408583/text/">das schöne Gespräch</a> mit <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Lemmy_Kilmister">Lemmy</a> von 2003) galten lange als stilbildend. Ich bin da skeptisch. Von Uslar hat da eine originelle, unterhaltsame Form gefunden, bleibt aber extrem formalistisch. Formalismus ist aber nicht das, was ich bei Interviews möchte. Ich möchte Abschweifen, ich möchte Fragen finden, während ich sie stelle, ich möchte keine Antworten, sondern Gegenfragen.<br />
<br />
Ich glaube, ich mag Interviews sehr gerne.
zahnwart
Blätter
Copyright © 2010 zahnwart
2010-05-21T15:57:00Z
-
East of Anke
http://bandschublade.twoday.net/stories/6317704/
Wenn mich jemand fragen würde, was ich mit meinem Blog eigentlich will, dann würde ich antworten: Genau das Gegenteil von dem, was <a href="http://www.ankegroener.de/">Anke Gröner</a> will.<br />
Das ist nicht böse gemeint, ich lesen Frau Gröners Texte gern, ich mag ihren Schreibstil, ich weiß, wovon sie schreibt, es kommt nicht von Ungefähr, dass Viele ihr Blog schätzen. Womit ich aber gar nichts anfangen kann, ist ihre Grundhaltung, ihr grundsätzliches Einverstandensein, ihre Systembejahung, ihre Begeisterung für ihren Beruf, für Chorgesang, für Romantic Comedy. Das ist alles nicht schlimm, es ist nur nicht meins. Ich will was anderes.<br />
<br />
Allerdings: Für dieses <a href="http://www.ankegroener.de/?p=7797">wunderbare Rezept</a> bekommt sie ganz fett Credits von mir. Könnt ich mich reinsetzen.<br />
(Ich habe statt der grünen eine rote Paprika genommen, außerdem habe ich mit dem Gemüse auch noch zwei Handvoll Sonnenblumenkerne angeröstet. War lecker. Den Ingwersirup habe ich nach Frau Gröners Vorgabe gemacht, was gut funktionierte. Fertigen Sirup bekommt man aber auch im Supermarkt - Ingwerstücke in Sirup eingelegt, um genau zu sein. Ist aber recht teuer, und was man mit dem eingelegten Ingwer anfangen soll, wenn der Sirup abgeschöpft ist, weiß ich auch nicht.)
zahnwart
Anderes
Copyright © 2010 zahnwart
2010-05-01T16:53:00Z
-
Heraus zum 1. Mai
http://bandschublade.twoday.net/stories/heraus-zum-1-mai/
Schon klar, Innenminister ist ein Drecksjob. Immer den harten Hund geben zu müssen, obwohl man womöglich in Wahrheit ein liberaler Feingeist ist, das ist nicht schön. Otto Schily und Wolfgang Schäuble haben mir manchmal richtig leid getan, echt.<br />
<br />
Nein.<br />
<br />
Seit Herbst ist <a href="http://www.thomasdemaiziere.de/">Thomas de Maizière</a> christdemokratischer Bundesinnenminister, und der tut mir nicht leid. Weil de Maizière nicht so tut, als ob er ein Hardliner sei, im Gegenteil, er tut verständig, ist dabei aber ein verbohrter Ideologe. Einer, der sein Leben der Mission gewidmet hat, das von linksliberalen Weichlingen unterjochte Deutschland zu befreien, ein Land wieder gerade zu rücken, in dem - aus de Maizières Sicht - Linke grenzenlose Narrenfreiheit genießen, während Rechte ungerechtfertigterweise übelst verfolgt werden. Dass es dieses Land nicht gibt - de Maizière kümmerts nicht. Seit Wochen redet er in allen Medien, die ihm ein Mikro hinhalten, bürgerkriegsähnliche Zustände bei linken Demos am 1. Mai herbei, solange bis ihm ein paar der viel beschriebenen "<a href="http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,691875,00.html">erlebnisorientierten Jugendlichen</a>" den Gefallen tun, eine Scheibe einzuschmeißen.<br />
<br />
Am 25.4. gab de Maizière dem <i>Hamburger Abendblatt</i> (das ich ungern verlinke, weil ich der Springerpresse nicht auch noch Klicks schenken möchte, <a href="http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1471181/Das-Interview-mit-Thomas-de-Maiziere.html">hier</a> muss es aber sein - als Beleg der Ungeheuerlichkeit) ein Interview, in dem der Innenminister nicht nur die bei Konservativen übliche Gleichsetzung Rechts-Links vorbetet, nein, er fordert explizit, den Kampf gegen Rechts ruhen zu lassen, um den Kampf gegen Links forcieren zu können.<br />
<br />
<i>"Ich appelliere an alle Bürger, keinen zusätzlichen Anlass zu bieten, der Polizeikräfte bindet. Rechtsextremisten, die demonstrieren, kann man mal auch durch Nichtachtung besonders strafen."</i><br />
<br />
Das ist heftig. So heftig, dass ich kurz überlegen musste, was man so anstellen könnte, um die Polizeikräfte wenigstens ein wenig zu bündeln. Nein, ich plädiere nicht dafür, <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/6082234/">Luxusautos anzuzünden</a>, ich plädiere nicht einmal dafür, den ranstürmenden Polizisten ein bisschen langsamer die Straße freizumachen. Bringt ja alles nichts, ist eher kontraproduktiv. Aber ich plädiere dafür, sich noch einmal auf der Zunge zergehen zu lassen, was Thomas de Maizière da gesagt hat, ganz genüsslich.<br />
<br />
Zum Thema Autoanzünden zitiere ich dagegen resigniert <a href="http://www.diesterne.de/">Die Sterne</a>. Und zwar "Kaltfront" (2004):<br />
<br />
<i>Gewalt ist keine Lösung und taugt auch nicht als Strategie.<br />
Wir rufen ausdrücklich nicht dazu auf. Doch die,<br />
die Druck ausüben, um uns in die Knie zu zwingen,<br />
die sind gewalttätig, während wir nur singen.</i>
zahnwart
Real life, omg
Copyright © 2010 zahnwart
2010-04-30T09:25:00Z
-
Was Julia Stoschek sieht
http://bandschublade.twoday.net/stories/was-julia-stoschek-sieht/
<img title="" height="267" alt="stoschek" width="400" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/stoschek.jpg" /><br />
<i>Ein Blick in die Ausstellung Julia Stoschek Collection" in den Hamburger Deichtorhallen, Foto: Henning Rogge</i><br />
<br />
Sammler sind gute Menschen, doch. Kunst zu kaufen, das sei doch wohl das Ungefährlichste, was reiche Menschen mit ihrem Geld anfangen könnten, sagte <a href="http://www.danielrichter.com/">Daniel Richter</a> einmal sinngemäß, und wenn man das vergleicht mit der <a href="http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,672756,00.html">finanziellen Unterstützung der FDP</a> und ähnlicher obskurer Organisationen, dann hat Richter (der ja persönlich durchaus ein gewisses Interesse daran hat, dass Leute seine Bilder kaufen) natürlich recht. Und zudem ist es ist schön, dass die meisten Sammler uns Pöbel an ihren Käufen teilhaben lassen, <a href="http://www.museum-brandhorst.de/">Brandhorst</a> in München, <a href="http://www.kunsthalle-weishaupt.de/">Weishaupt</a> in Ulm, <a href="http://www.sammlung-falckenberg.de/">Falckenberg</a> in Hamburg. Da sagen wir Dankeschön. Und werfen nicht etwa in den Raum, dass ein Kunstwerk in der Regel massiv an Wert gewinnt, wenn es gezeigt wird, es also für den Sammler ein schönes Geschäft darstellt, seine Sammlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Womöglich auch noch mit Geld der öffentlichen Hand.<br />
<br />
Nein, das tun wir nicht. Wir gehen ins Museum. Und freuen uns.<br />
<br />
Die Hamburger <a href="http://www.deichtorhallen.de">Deichtorhallen</a> zeigen die <a href="http://www.julia-stoschek-collection.net/">Medienkunstsammlung von Julia Stoschek</a>. Julia Stoschek ist 34 Jahre alt, studierte Betriebswirtin, Gesellschafterin der <a href="http://www.brose.com/ww/de/pub/home.htm">Brose Fahrzeugteile GmbH</a>, Lebensgefährtin des Starfotografen <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Gursky">Andreas Gursky</a> und laut Wikipedia bayerische Juniorenmeisterin im Dressurreiten. Außerdem scheint sie durchaus von der eigenen Großartigkeit überzeugt, die Hamburger Ausstellung auf jeden Fall wirbt nicht etwa mit dem Namen eines Künstlers oder mit einer These, sondern mit dem knalligen "Julia Stoschek Collection". Die Künstler sind nicht wichtig, wichtig ist die Sammlerin, das sagt dieser Titel. Zwar wird dann noch schamhaft ein <a href="http://www.pipilottirist.net/">Pipilotti-Rist</a>-Titel nachgereicht, der aber lautet "I want to see how you see" und gemahnt eigentlich eher daran, dass wir hier Stoscheks Blick nachahmen sollen. Wir wollen sehen, was Julia Stoschek sieht.<br />
<br />
Was aber sieht Julia Stoschek? Sie sieht Großartiges. Hauptsächlich Videos, von <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Marina_Abramovi%C4%87">Marina Abramovic</a>, von <a href="http://www.isaacjulien.com/home">Isaac Julien</a>, von <a href="http://www.caroleeschneemann.com/">Carolee Schneemann</a>. Ganz klein eine hübsche Landschaftsaufnahme von Stoscheks Lebensgefährten, etwas größer dann noch ein Foto der Sammlerin selbst, vor den Deichtorhallen auch nochmal ein riesiges Plakat mit einer hyperstylten Stoschek, naja, sie sieht sich halt gern. Hat eigentlich auch nichts mit der Ausstellung zu tun, um ehrlich zu sein.<br />
Die Ausstellung ist, wie gesagt, klasse. Unterhaltsam, schockierend, hoch politisch lotet sie die Möglichkeiten der riesigen Halle aus, manchmal besetzt sie ein wenig zu eindeutig populistische Positionen, ganz selten wirkt sie auf dem Niveau der Siebziger-Gender-Debatten stecken geblieben, aber das sind Lässlichkeiten. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass hier eine Ausstellung auf der Grenze zwischen Pop und Politik über weite Strecken funktioniert - Welten zu <a href="http://www.hamburger-kunsthalle.de/poplife/html/ausstellung.html">Pop Life</a>, einer inhaltlich ganz ähnlich gelagerten Ausstellung, die vor kurzem an der benachbarten <a href="http://www.hamburger-kunsthalle.de">Kunsthalle</a> <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/6199904/">mit Haut und Haaren scheiterte</a>.<br />
<br />
Und dann eben noch: der Kunstvorbehalt. Der ist toll, also: mit der Mutter ins Museum gehen und sich da <i>unsimulated sexual intercourse</i> anzugucken, ohne rot zu werden (das <a href="http://www.videoartworld.com/beta/video_403.html">Video zu "Fucked"</a> von Alex McQuilkin allerdings ist weniger erregend als verstörend, daher besser nicht unvorbereitet klicken). Außerdem: Habe ich schon jemals gemeinsam mit meiner Mutter ein Musikvideo geschaut? Und sei es das hübsch kunstige "Wanderlust" von Björk?<br />
<br />
<object width="400" height="225"><param name="allowfullscreen" value="true" ><param name="allowscriptaccess" value="always" ><param name="movie" value="http://vimeo.com/moogaloop.swf?clip_id=877878&server=vimeo.com&show_title=1&show_byline=1&show_portrait=0&color=&fullscreen=1" ><embed src="http://vimeo.com/moogaloop.swf?clip_id=877878&server=vimeo.com&show_title=1&show_byline=1&show_portrait=0&color=&fullscreen=1" type="application/x-shockwave-flash" allowfullscreen="true" allowscriptaccess="always" width="400" height="225"></embed></object><p><a href="http://vimeo.com/877878">Wanderlust</a> from <a href="http://vimeo.com/yoichi">yoichi</a> on <a href="http://vimeo.com">Vimeo</a>.</p>
P.S. Ich verweise auf ein kurzes <a href="http://www.umagazine.de/artikel.php?ID=894351">Interview</a>, das ich für die April-Ausgabe des <a href="http://www.umagazine.de">uMag</a> mit Julia Stoschek geführt habe.
zahnwart
Bretter, Stoffe
Copyright © 2010 zahnwart
2010-04-27T18:54:00Z
-
Loslassen
http://bandschublade.twoday.net/stories/loslassen/
Am wichtigsten ist es, loslassen zu können. Einen Text zu schreiben, und ihn abzugeben. Keine Angst zu haben, ob die Grafik ihn verunstaltet, keine Angst zu haben, dass der Kontext nicht passt. Am wichtigsten ist es, Material herzustellen, gutes Material, das andere dann weiter verarbeiten. Und nicht enttäuscht zu sein, wenn diese Weiterverarbeitung nicht optimal läuft.<br />
Das habe ich am Theater gelernt: Es geht nicht um das authentische Kunstwerk eines Genies, es geht um eine kollektive Arbeit. Vielleicht mag der Dramatiker es auch nicht, wenn er sein 100-Seiten-Drama einem Regisseur gibt, und der verwendet davon dann aber, wenns hochkommt, 15 Seiten. Und während dieser 15 Seiten läuft auch noch ständig der sprichwörtliche SS-Mann durchs Bild und masturbiert (das übrigens ist ein Klischeebild, das in keiner Weise der Realität entspricht: Ich habe noch nie ein Theaterstück mit masturbierenden SS-Männern gesehen, und ich habe schon viele Stücke gesehen. Ja, auch von Johann Kresnik). Aber im Endeffekt sind das dann die wirklich spannenden Theatererlebnisse. Und darauf kommt es doch eigentlich an: Dass der Dramatiker loslässt, auch wenn es ihm vielleicht erstmal nicht gefällt, sein Stück, sein Baby loszulassen.<br />
"Baby" ist hier der richtige Kontext. Wer seine Kinder bis ins hohe Alter festhält, der tut ihnen keine Gefallen (sich selbst übrigens auch nicht). Darum geht es, wahrscheinlich: loslassen zu können.
zahnwart
Bretter, Stoffe
Copyright © 2010 zahnwart
2010-04-16T19:28:00Z
-
Offene Räume
http://bandschublade.twoday.net/stories/6284235/
<img title="" height="400" alt="DSC01797" width="300" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/DSC01797.jpg" /><br />
<br />
Leipzig wäre wohl ganz schön, wäre es nicht so unglaublich deutsch. In westdeutschen Großstädten prägt Migration unübersehbar den urbanen Raum, in Leipzig ist das nicht so; muss man sich erstmal dran gewöhnen, und ich glaube nicht, dass mir diese Gewöhnung gefallen würde. Aber ansonsten wäre Leipzig wohl ganz schön, doch.<br />
Das Leipziger Zentrum wird von einem Innenstadtring umfasst, mehrspurige Straßenzüge, Tramlinien, man kennt das von vielen vergleichbar großen Städten, Frankfurt, Dortmund. Innerhalb dieses Rings wirkt die Stadt extrem aufgehübscht, restaurierte Jugendtilfassaden, breite Shoppingzonen, repräsentative Gebäude, die Universität mit dem <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/City-Hochhaus_Leipzig">City-Hochhaus</a>. Genutzt wird dieser Teil der Stadt alledings weitgehend vom bundesrepublikanischen Fußgängerzonendurchschnit, Tchibo, Karstadt, Juwelier Wempe, <i>you name it</i>. Dazu kommen hilflose Versuche, eine urbane Renaissance des Bürgertums herbeizuzitieren, ein Phänomen, das man auch in anderen ostdeutschen Großstädten beobachten kann, im immer mehr zum Berliner Villenvorort mutierenden Potsdam, in <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Turm_%28Tellkamp%29">Uwe Tellkamps Dresden</a>.<br />
<br />
<img title="" height="400" alt="DSC01802" width="300" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/DSC01802.jpg" /><br />
<br />
Und mittendrin die <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaikirche_%28Leipzig%29">Nikolaikirche</a>. Denkmal der Möchtegern-Revolution, Aufstand gegen den DDR-Muff bei gleichzeitigem Ranwanzen an ausgerechnet die ultramuffige Kirche, habt ihr toll gemacht, Leipziger, 1989. Und uns nebenbei noch zwei weitere Legislaturperioden des korrupten Kohl-Regimes verschafft, Danke auch dafür!<br />
<br />
Durch Leipzig zu laufen, frustriert mich.<br />
<br />
Wenn man aber den Innenstadtring hinter sich gelassen hat, dann findet man sie noch: Brachflächen, Ruinen, Undefiniertes. Offene Räume. Dann steht man plötzlich vor Orten wie dem <a href="http://www.leipziger-messe.de/LeMMon/denkmal_web_ger.nsf/frames?OpenPage&Code=20080630~130349~leipzigs_messehaeuser_teil_5.html">Ring-Messehaus</a>, dem Bayrischen Hof, dem <a href="http://mephisto976.uni-leipzig.de/sendungen/faustschlag/beitrag/artikel/haus-zum-hingucken-astoria-ein-luxushotel-steigt-ab.html">Hotel Astoria</a>.<br />
<br />
<img title="" height="400" alt="DSC01834" width="300" src="http://static.twoday.net/bandschublade/images/DSC01834.jpg" /><br />
<br />
Da hat Leipzig plötzlich wieder etwas von Berlin-Mitte, bevor die Modelabels kamen, die Schickis und die Cocktailbars. Beziehungsweise: Bevor die Cocktailbars durch die Systemgastronomie abgelöst wurden. Wohlgemerkt: Wir sind hier nicht in Vororten, wir sind gerade mal ein paar Schritte von der Innenstadt entfernt, in direkter Nachbarschaft zum unglaublich luxuriösen, unglaublich überdimensionierten Hauptbahnhof.<br />
Das macht Leipzig wirklich interessant: dass man die offenen Räume ganz deutlich vor Augen hat. Und dass man gleichzeitig weiß, dass diese Räume bedroht sind, dass sie ein störendes Element der Stadtarchitektur in der unmittelbaren Umgebung sind. Man kann sich hier nicht ausruhen in der kaputten Kuschligkeit des Andersseins, weil weite Teile der Innenstadt schon billig aufgehübscht sind. Das war wohl der Fehler in Berlin-Mitte: Man dachte, das ginge immer so weiter mit den offenen Räumen, dass eine Bedrohung da war, nahm man nicht wahr, und als man es merkte, war es zu spät. In Leipzig muss man das wahrnehmen: Der Hauptbahnhof ist unübersehbar.<br />
<br />
In Hamburg zeichnet sich eine Lösung fürs <a href="http://www.das-gaengeviertel.info/">Gängeviertel</a> ab (zur Vorgeschichte: <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/zwischenstand/">hier</a> und <a href="http://bandschublade.twoday.net/stories/6094686/">hier</a>). Es gibt anscheinend den Willen der Stadt, das Viertel ohne Investor gemeinsam mit den Besetzern zu entwickeln, allerdings ohne die Fäden ganz aus der Hand zu geben. Die Besetzer hingegen pochen auf Selbstverwaltung des Projekts.<br />
Beide Positionen scheinen mir nicht unproblematisch. Weil beide Positionen die Gefahr in sich bergen, aus offenen Räumen geschlossene Räume zu machen. Wer sagt denn, dass sich bei Selbstverwaltung nicht eine Art "Besetzer"-Elite herausbildet, die die Räume nur noch für diejenigen öffnet, die ihnen genehm sind? Was auf lange Sicht einen Inzucht-Charakter zur Folge hätte, die dem Charme des Gängeviertels zuwider läuft. Und auf der anderen Seite: Wenn die Stadt das Viertel entwickelt und die Besetzer nur duldet, dann tritt die Stadt ja quasi als Investor auf. Und wer versichert einem, dass die diesen Job gut macht? Wenn ich mir die kulturpolitische Praxis Hamburgs in den vergangenen Jahrzehnten so anschaue, dann habe ich Zweifel, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sein könnte. Große Zweifel.<br />
<br />
Stadtkultureller Wildwuchs ist natürlich auch nicht die Lösung. Dann landet man nämlich beim Leipziger Innenstadt-Phänomen, bei Tchibo und Karstadt. De einzige Lösung wäre wohl: Wildwuchs ohne Geld, den Wildwuchs in eine bestimmte Richtung zu lenken. Aber das mit "ohne Geld", das brauche ich in Hamburg wohl nicht zu hoffen.
zahnwart
Häuser, Straßen
Copyright © 2010 zahnwart
2010-04-11T10:12:00Z
-
Das habe ich so nie gesagt
http://bandschublade.twoday.net/stories/das-habe-ich-so-nie-gesagt/
Die <i>Süddeutsche Zeitung</i> wollte ein Interview mit dem Spaßmacher <a href="http://www.hirschhausen.com/">Eckart von Hirschhausen</a> führen. Das ist ihr Job, auch wenn ich denke, dass es interessantere Gegenstände der Berichterstattung gibt, aber okay, ich will ihnen da nicht reinreden. Also, ein Interview. Um einen Termin zu bekommen, wandten sich die Münchner an seine Pressestelle, das ist der übliche Weg. Die ist bei Herrn Hirschhausen ans Management angegliedert, und das schickte den Journalisten einen Forderungskatalog, der am Ende dafür verantwortlich war, dass der geplante Text nicht in der Zeitung erscheinen konnte. Stattdessen gab es ein erklärendes Stück, das die <i>Süddeutsche</i> leider nicht online stellte, es allerdings in ihrer Printausgabe veröffentlichte, so dass <a href="http://www.stefan-niggemeier.de/blog/">Stefan Niggemeier</a> aus dem Vertrag zitieren konnte:<br />
<br />
<cite>1. Wir gehen davon aus, dass Sie KEINE privaten Fragen stellen und auch keine privaten Informationen über Eckart von Hirschhausen in Ihrem Beitrag verarbeiten. Wir legen auf eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben wert; Eckart von Hirschhausen ist einer der Künstler, der sich ausschließlich über sein berufliches Wirken definiert.<br />
<br />
2. Sie legen uns Ihren Beitrag in vollem Umfang vor dem Druck zur Autorisierung vor; bitte nicht nur die Hirschhausen-Zitate, sondern den gesamten Beitrag, damit wir den Zitatezusammenhang auch erkennen können.<br />
<br />
3. Eckart von Hirschhausen bzw. das Management haben das Recht, Einwände zu äußern und eine Textänderung zu bewirken, wenn die Person Eckart von Hirschhausen nicht korrekt dargestellt wurde.<br />
<br />
Eine Frage: Haben Sie einen Fotografen dabei? Wenn ja, dann bringen Sie doch bitte auch eine Maske mit.</cite><br />
<br />
Zusammenfassung: Ein Journalist will einen Text über jemanden schreiben. Dieser jemand stellt unzumutbare Bedingungen für ein Treffen. Der Journalist geht nicht auf diese Bedingungen ein und schreibt darauf einen anderen Text, der eben diese Bedingungen zum Thema hat. Um auch noch die andere Seite zu hören: Heute <a href="http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/es-war-nur-ein-missverstaendnis/">meldet die taz vorab</a>, dass Hirschhausen das mit dem Vetrag alles nicht so gemeint haben wollte. Was ich ihm zwar nicht glaube, aber gut.<br />
<br />
Erschreckend aber, wie sich die <a href="http://www.stefan-niggemeier.de/blog/eckart-von-hirschhausens-hybris/#comments">Kommentare auf Stefan Niggemeiers Blog</a> seither beharken. Man könnte ja tatsächlich eine Diskussion über die Autorisiserungspraxis in der deutschsprachigen Medienlandschaft starten: Ich bin da gar nicht so strikt wie britische und US-amerikanische Journalisten, die Autorisierungen grundsätzlich ablehnen, mir ist es lieber, meine Interviewpartner haben die Chance, zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, weil sie wissen, dass sie später nochmal über ihre Zitate drüber schauen können, als dass sie mir ein Interview nur mit Schere im Kopf geben. Wie gesagt, das sehen andere anders, und eben deswegen sollte man darüber reden. Vielleicht ist das auch schlicht vom Interviewpartner abhängig, möglich.<br />
<br />
Niggemeiers Leser aber sind nicht so differenziert - eine große Mehrheit ist schlicht der Ansicht, Hirschhausen habe recht.<br />
"Vielleicht ist das die logische, wenn auch bedauerliche Konsequenz aus BILDesken Journalisten, die auch nach einem Interview letztlich schreiben, was sie möchten und nicht, was gesagt wurde" schreibt <a href="http://www.kolumnen.de/wiegand.html">Katrin Wiegand</a>.<br />
"Er möchte nicht, dass Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden bzw. in einem falschen Kontext erscheinen. Wie wunderbar das geht, beweisen doch die BILD und RTL mit seinen Magazinen Explosiv und Exklusiv jeden Tag" schreibt "Pharmaberater".<br />
"Ist doch völlig selbstverständlich, dass man einen Artikel über sich selbst vor Veröffentlichung zu Gesicht bekommt und notfalls die Veröffentlichung ablehnen kann" schreibt "<a href="http://www.antigone20.de/">Benedict</a>".<br />
"Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Journalisten grundsätzlich irgendwas schreiben, aber nie das, was man wirklich gesagt hat. Und das sind keine Einzelfälle, das ist die Regel. Immer und ohne Ausnahme. Da wird einfach etwas dazugedichtet und komplett neu zusammengesetzt und das Ergebnis hat nichts mehr mit dem eigentlichen Interview zu tun. Solange Journalisten nicht lernen, sich an das zu halten, was im Interview wirklich gesagt wird, bleibt nur, jeglichen Kontakt mit der Presse zu vermeiden oder entsprechende Bedingungen zu stellen und rigoros durchzusetzen" schreibt "order_by_rand ".<br />
<br />
Und so geht das weiter. Im Moment 184 Kommentare, <i>and counting</i>. Hirschhausen hat recht, die <i>Süddeutsche</i> ist doof, Journalisten eh das letzte, man muss sich nur mal <i>Bild</i>, <i>RTL</i> oder die Yellow Press anschauen. Warum schreibt eigentlich niemand, dass es einen Unterschied zwischen <i>Bild</i> und <i>Süddeutscher</i> gibt? Weil das niemand weiß? Weil tatsächlich alle Journalisten in einem Topf landen, der mit dem Label "Journaille" versehen wird?<br />
Woran liegt das? Ich fühle mich von den Kommentaren bei Niggemeier tatsächlich persönlich angegriffen. Weil es mein berufliches Selbstverständnis berührt: Ich bemühe mich immer, meinem Gesprächspartner gegenüber fair zu sein. Und alle Kollegen, mit denen ich darüber spreche, haben ähnliche Ideale. Also: warum dieses Misstrauen?<br />
<br />
P.S. Zur Auswüchsen der Autorisierungspraxis <a href="http://www.umagazine.de/artikel.php?ID=28221&title=%26quot%3B------------.%26quot%3B&artist=Hannah+Herzsprung&topic=popkultur">verweise ich auf ein Interview</a>, das mein Kollege Volker Sievert vor Jahren mit der Schauspielerin Hannah Herzsprung führte.
zahnwart
Blätter
Copyright © 2010 zahnwart
2010-03-26T15:06:00Z
find
Search this site:
q
http://bandschublade.twoday.net/search