Unter Schafen

Am Nachmittag war noch alles schön. Am Nachmittag saßen wir bei Herrn Max, tranken Kaffee, aßen Johannisbeer-Mangomousse-Torte, und irgendwann entdeckte die schöne Frau Petits Fours in Form von Pflastersteinen. Das fanden wir lustig, ein DJ legte Dubstep auf, das Wetter war schön. Schanzenfest.
Natürlich blieben wir nicht im Schanzenviertel, natürlich waren wir längst weg, als es losging. Also, aus zweiter, dritter, vierter Hand: Nach Mitternacht versuchten Randalierer, eine nahe Polizeiwache zu stürmen, worauf die Beamten mit voller Härte zurückschlugen und das Fest auflösten. Was man ihnen nicht einmal verdenken konnte. Konsens scheint zu sein, dass die Angreifer nur wenig mit dem subversiven Hintergrund des Festes am Hut hatten, eher, wie es im Polizeijargon heißt, "erlebnisorientierte Jugendliche" aus den Vororten gewesen seien. Nachvollziehbar, dass die Organisatoren des Schanzenfestes, die Bewohner des Viertels und die Politaktivisten böse sind, dass die Krawalle der Polizei einen willkommenen Grund gaben, zuzuschlagen.

Dieses Gefühl ist, wie gesagt, nachvollziehbar, aber ist es richtig? Eigentlich wollen die Stadt Hamburg und die Polizei als ausführendes Organ ja genau das: den Protest spalten. Plötzlich gibt es einen guten Protest (feiert Feste) und einen bösen Protest (ist gewalttätig). Und, schwupp!, ist die Einigkeit flöten, ist man angreifbar. Denn, man braucht sich nichts vorzumachen: Den Mächtigen ist jeder Protest zuwider, die alternativen Lebensformen in der Schanze hätten sie gerne längst den Garaus gemacht. Wir brauchen nicht zu glauben, dass dieser "gute" Protest es noch lange macht, wenn die "Bösen" erstmal platt gemacht sind. Und platt gemacht werden sie, da besteht kein Zweifel. In der momentanen Situation sind die Autonomen des Schanzenviertels plötzlich in der Position, dass sie sich von der Polizei einen Persilschein ausstellen lassen: Sie sind die Guten, sie haben nichts gemacht. Wie Schafe, die hoffen, vom Wolf verschont zu werden, weil sie doch eigentlich immer brav waren.

Ich will damit nicht behaupten, dass Pinneberger Schwachköpfe so einfach auf unseren Festen auftauchen und sich dort daneben benehmen dürfen. Wie man sie fernhalten sollte? Keine Ahnung. Das muss diskutiert werden - aber vielleicht nicht unbedingt öffentlich. Denn dann diskutieren über kurz oder lang nicht mehr die, die es angeht, sondern die Medien des Gegners.

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Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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