Blätter

Freitag, 21. Mai 2010

Sprechen

Interviews sind eine eigenartige journalistische Form. Man sitzt mit jemandem beim Kaffee, der antwortet auf Fragen, und hinterher schreibt man einen Text, in dem der Gesprächspartner anderes sagt als das, was er erzählt hat.

Oh je, gleich brüllen sie wieder, "Journalisten verfälschen Interviews, ich hab's ja schon immer gewusst!"
Nein, natürlich verfälschen wir keine Interviews. Wir lassen nur niemanden wie einen Trottel dastehen, wenn er in Wahrheit kein Trottel ist. Wer schon einmal das wörtliche Transkript eines Gesprächs gelesen hat, der wird mir zustimmen: Das ist nicht lesbar. Das gibt auch nicht die Eigenarten des Gesprächspartners wieder, mit allen Verkürzungen, allen Äh, Öhs, allen nicht zuende geführten Sätzen und allen Wortwiederholungen. Ein Gespräch ist mehr als das gesprochene Wort, und ein gedrucktes Interview muss dieses "Mehr" nachzeichnen, obwohl nur gesprochene Worte gedruckt werden. Deswegen bearbeiten wir Interviews.

Aber: Warum dann nicht von vornherein einen eigenen Text, warum diese Illusion eines Gesprächs, das so doch nie geführt wurde?
Weil das Gespräch schon längst begonnen wurde, lange bevor wir den Kaffee einschenkten. Zumindest wenn ich mich mit Kunst beschäftige: Ein Kunstwerk gibt keine Antworten, ein Kunstwerk stellt Fragen. Wenn ich einen Künstler interviewe, führe ich diese Fragestellungen weiter, stelle Gegenfragen, werde irritiert, gerate auf den Holzweg, finde wieder in die Spur.
Das sind Fragen, die nur mittelbar mit dem konkreten Kunstwerk zu tun haben - und dennoch reden wir immer nur über dieses Kunstwerk, sonst über nichts. Ich halte wenig davon, einen Künstler zu fragen, was er von der Gesundheitsreform hält, aber wer weiß, vielleicht sprechen wir über die Gesundheitsreform, wenn wir über sein Kunstwerk sprechen? Genauso die Fragen nach "Privatem", die viele nicht so gerne mögen, weil sie doch nur über ihren Beruf sprechen möchten. Was soll das? Mich interessiert kein Gossip, mit wem der Künstler schläft, ist mir egal. Was mir nicht egal ist: Ob er mit einem Mann schläft oder mit einer Frau, ob er überhaupt mit jemandem schläft. Weil es vermessen ist, den Einfluss von Sexualität auf unsere Weltsicht zu negieren (und weil ich glaube, dass zum Beispiel die Erfahrung eines Coming outs so prägend ist für eine Persönlichkeitsentwicklung, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass unter heterosexuellen Bedingungen entstandene Kunst sich nicht von unter homosexuellen Bedingungen entstandener Kunst unterscheidet).


Moritz von Uslars
100-Fragen-Interviews fürs Magazin der Süddeutschen Zeitung (als Beispiel das schöne Gespräch mit Lemmy von 2003) galten lange als stilbildend. Ich bin da skeptisch. Von Uslar hat da eine originelle, unterhaltsame Form gefunden, bleibt aber extrem formalistisch. Formalismus ist aber nicht das, was ich bei Interviews möchte. Ich möchte Abschweifen, ich möchte Fragen finden, während ich sie stelle, ich möchte keine Antworten, sondern Gegenfragen.

Ich glaube, ich mag Interviews sehr gerne.

Freitag, 26. März 2010

Das habe ich so nie gesagt

Die Süddeutsche Zeitung wollte ein Interview mit dem Spaßmacher Eckart von Hirschhausen führen. Das ist ihr Job, auch wenn ich denke, dass es interessantere Gegenstände der Berichterstattung gibt, aber okay, ich will ihnen da nicht reinreden. Also, ein Interview. Um einen Termin zu bekommen, wandten sich die Münchner an seine Pressestelle, das ist der übliche Weg. Die ist bei Herrn Hirschhausen ans Management angegliedert, und das schickte den Journalisten einen Forderungskatalog, der am Ende dafür verantwortlich war, dass der geplante Text nicht in der Zeitung erscheinen konnte. Stattdessen gab es ein erklärendes Stück, das die Süddeutsche leider nicht online stellte, es allerdings in ihrer Printausgabe veröffentlichte, so dass Stefan Niggemeier aus dem Vertrag zitieren konnte:

1. Wir gehen davon aus, dass Sie KEINE privaten Fragen stellen und auch keine privaten Informationen über Eckart von Hirschhausen in Ihrem Beitrag verarbeiten. Wir legen auf eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben wert; Eckart von Hirschhausen ist einer der Künstler, der sich ausschließlich über sein berufliches Wirken definiert.

2. Sie legen uns Ihren Beitrag in vollem Umfang vor dem Druck zur Autorisierung vor; bitte nicht nur die Hirschhausen-Zitate, sondern den gesamten Beitrag, damit wir den Zitatezusammenhang auch erkennen können.

3. Eckart von Hirschhausen bzw. das Management haben das Recht, Einwände zu äußern und eine Textänderung zu bewirken, wenn die Person ‚Eckart von Hirschhausen’ nicht korrekt dargestellt wurde.

Eine Frage: Haben Sie einen Fotografen dabei? Wenn ja, dann bringen Sie doch bitte auch eine Maske mit.


Zusammenfassung: Ein Journalist will einen Text über jemanden schreiben. Dieser jemand stellt unzumutbare Bedingungen für ein Treffen. Der Journalist geht nicht auf diese Bedingungen ein und schreibt darauf einen anderen Text, der eben diese Bedingungen zum Thema hat. Um auch noch die andere Seite zu hören: Heute meldet die taz vorab, dass Hirschhausen das mit dem Vetrag alles nicht so gemeint haben wollte. Was ich ihm zwar nicht glaube, aber gut.

Erschreckend aber, wie sich die Kommentare auf Stefan Niggemeiers Blog seither beharken. Man könnte ja tatsächlich eine Diskussion über die Autorisiserungspraxis in der deutschsprachigen Medienlandschaft starten: Ich bin da gar nicht so strikt wie britische und US-amerikanische Journalisten, die Autorisierungen grundsätzlich ablehnen, mir ist es lieber, meine Interviewpartner haben die Chance, zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, weil sie wissen, dass sie später nochmal über ihre Zitate drüber schauen können, als dass sie mir ein Interview nur mit Schere im Kopf geben. Wie gesagt, das sehen andere anders, und eben deswegen sollte man darüber reden. Vielleicht ist das auch schlicht vom Interviewpartner abhängig, möglich.

Niggemeiers Leser aber sind nicht so differenziert - eine große Mehrheit ist schlicht der Ansicht, Hirschhausen habe recht.
"Vielleicht ist das die logische, wenn auch bedauerliche Konsequenz aus BILDesken „Journalisten”, die auch nach einem Interview letztlich schreiben, was sie möchten und nicht, was gesagt wurde" schreibt Katrin Wiegand.
"Er möchte nicht, dass Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden bzw. in einem falschen Kontext erscheinen. Wie wunderbar das geht, beweisen doch die BILD und RTL mit seinen „Magazinen” Explosiv und Exklusiv jeden Tag" schreibt "Pharmaberater".
"Ist doch völlig selbstverständlich, dass man einen Artikel über sich selbst vor Veröffentlichung zu Gesicht bekommt und notfalls die Veröffentlichung ablehnen kann" schreibt "Benedict".
"Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Journalisten grundsätzlich irgendwas schreiben, aber nie das, was man wirklich gesagt hat. Und das sind keine Einzelfälle, das ist die Regel. Immer und ohne Ausnahme. Da wird einfach etwas dazugedichtet und komplett neu zusammengesetzt und das Ergebnis hat nichts mehr mit dem eigentlichen Interview zu tun. Solange Journalisten nicht lernen, sich an das zu halten, was im Interview wirklich gesagt wird, bleibt nur, jeglichen Kontakt mit der Presse zu vermeiden oder entsprechende Bedingungen zu stellen und rigoros durchzusetzen" schreibt "order_by_rand ".

Und so geht das weiter. Im Moment 184 Kommentare, and counting. Hirschhausen hat recht, die Süddeutsche ist doof, Journalisten eh das letzte, man muss sich nur mal Bild, RTL oder die Yellow Press anschauen. Warum schreibt eigentlich niemand, dass es einen Unterschied zwischen Bild und Süddeutscher gibt? Weil das niemand weiß? Weil tatsächlich alle Journalisten in einem Topf landen, der mit dem Label "Journaille" versehen wird?
Woran liegt das? Ich fühle mich von den Kommentaren bei Niggemeier tatsächlich persönlich angegriffen. Weil es mein berufliches Selbstverständnis berührt: Ich bemühe mich immer, meinem Gesprächspartner gegenüber fair zu sein. Und alle Kollegen, mit denen ich darüber spreche, haben ähnliche Ideale. Also: warum dieses Misstrauen?

P.S. Zur Auswüchsen der Autorisierungspraxis verweise ich auf ein Interview, das mein Kollege Volker Sievert vor Jahren mit der Schauspielerin Hannah Herzsprung führte.

Samstag, 27. Februar 2010

Hölle, Hölle, Hölle

Seit Nikolaus Bachler Intendant ist, geht die Bayerische Staatsoper München unter die Zeitschriftenmacher: Regelmäßig erscheint "Max Joseph", eine aufwändig gestaltete Kulturzeitschrift, die vor eineinhalb Jahren das eher konventionell gemachte Magazin "Takt" ersetzte. Für Vierfuffzich im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder in der Staatsoper.

"Max Joseph" ist, soweit vorab, sehr, sehr gut. Eine sechsköpfige Redaktion macht monothematisches Feuilleton, vergleichbar vielleicht Oliver Gehrs' ebenfalls fast uneingeschränkt empfehlenswertem Magazin "Dummy". Um die Geschehnisse an der Oper geht es auch, am Rande, und bei der Auswahl des Überthemas. Das sieht dann so aus: Kommenden Monat feiert an der Staatsoper "Die Tragödie des Teufels" von Peter Eötvös Uraufführung, deswegen lautet das aktuelle Oberthema "Pfui Teufel!". Inhaltlich dürfen dann Münchner Promis (DJ Hell, Schlachthofbronx, Chris Decron) oder auch einfach zielgruppennahe Alltagsmenschen erzählen, wen oder was sie zum Teufel wünschen. "Die Tragödie des Teufels"-Librettist Albert Ostermeier und Torwartnervensäge Oliver Khan diskutieren über Hormondruck. Starfilmkritiker Georg Seeßlen schreibt über die Faszination des Satanischen im Kino. Und und und. Dazu: ein klares, verschwenderisches Layout und Fotos von Künstlern wie Erwin Olaf, Philipp Lachenmann oder Vee Speers.

"Max Joseph ist toll, einerseits, weil hier das schönste Kulturmagazin womöglich seit langem auf den Markt drängt, zielgenau und gleichzeitig abschweifend, barock und gleichzeitig klar, lustig und gleichzeitig tiefernst. Der gelungene Versuch, Hirnfutter zur lustvollen Angelegenheit zu machen.
Andererseits ist es aber auch ein kluger Schachzug der Staatsoper, ihre Zielgruppe zu erweitern, ohne die alten Besucher zu vergrätzen. Die typischen Leser, die mit Bild in der vorliegenden Ausgabe gezeigt werden, eine Goldschmiedin, ein Physikprofessor, eine Kunsthändlerin, sind vielleicht nicht die erste Garde der Opernbesucher. Aber diese erste Garde hätte auch nichts gegen eine Goldschmiedin, einen Physikprofessor oder eine Kunsthändlerin als Schwiegertöchter beziehungsweise -söhne (dieser Gedanke ist in München gar nicht so unwichtig). Zielgruppe als Netzwerk, nicht schlecht gedacht. Bekommt außer den Münchnern kein großes Opernhaus so klug hin, soweit ich weiß.

Und schließlich der Wermutstropfen. "Max Joseph" ist kein Werbeblättchen für die Staatsoper, wenn Opernthemen vorkommen, dann mittelbar. Oder weil eine Kulturzeitschrift mit Opernhintergrund ohnehin gut daran tut, einen Beitrag zu Peter Eötvös zu veröffentlichen. "Max Joseph" ist eine richtige Zeitschrift, die jeden Cent am Kiosk wert ist. Aber: Ist das das richtige Verständnis von Journalismus, wenn die Kulturschaffenden eigene Kulturzeitschriften auf den Markt werfen? Die Rolle des Journalisten als Kontrollinstanz derjenigen, über die er schreibt, ist im Kulturjournalismus ohnehin aufgeweicht, schon klar - aber muss das so offensichtlich passieren?
Und am Ende: Wie auf den Hund gekommen ist der Kulturjournalismus eigentlich gerade, wenn wir uns ausgerechnet von einem Opernhaus sagen lassen müssen, wie man es richtig macht?

Dienstag, 9. Februar 2010

Lokalrunde

"Die Zukuft der Zeitung liegt im Lokalen." Das sagt Joachim Braun, Redaktionsleiter beim Tölzer Kurier. Gut, er sagt das im Journalist, in einem Artikel zur Frage, wie ein guter Chefredakteur beschaffen sein soll, und so kann man die vollständige Aussage "Da die Zukunft der Zeitung im Lokalen liegt, muss ein guter Chefredakteur dort verankert sein" auch als Bewerbungsschreiben lesen. Nur ist sie mehr als das. Sie ist ein Mantra, das von Verlagsleitern ständig wiederholt wird: "Die Zukunft der Zeitung liegt im Lokalen." Als die Verlagsgruppe Ippen 2002 die Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine kaufte, wurden keine Stellen abgebaut, sondern Stellen umgeschichtet: vom überregionalen Teil ins Lokale. Scheint was dran zu sein: "Die Zukunft der Zeitung liegt im Lokalen."

Aber ist das wirklich so? Fakt ist, dass ein gut gemachter lokaler Politikjournalismus essentiell für die politische Willensbildung in einem Gemeinwesen ist: Wer schaut denn den Lokalpolitikern auf die Finger, wenn nicht die Journalisten? Der Spiegel schreibt nur selten eine Reportage, wenn sich ein Bürgermeister beim Ausschreiben des Neubaugebiets selbst ein Filetgrundstück unter den Nagel reist, zumal man beim Spiegel gar nicht den Überblick haben kann, was in Wehrheim, Barth und Hopfen am See gerade so Sache ist. Fakt ist weiter, dass ein gut gemachter lokaler Kulturjournalismus wichtig für die Kulturszene abseits der Metropolen ist: Die FAZ kommt nur selten ins Theater nach Marburg, Schleswig und Passau, zumal man bei der FAZ gar nicht den Überblick haben kann, welche Aufführung die Anreise überhaupt lohnen würde. Das müssen Lokaljournalisten machen.

Nur: Sie machen es nicht.

Lokaljournalismus ist heute in der Regel Wohlfühljournalismus, der den Bewohnern des jeweiligen Verbreitungsgebiets ein ums andere Mal erzählt, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Was zumindest mit meinen Erfahrungen rein gar nichts zu tun hat. Ich sage bestenfalls: Hier ist es schön, woanders aber auch (weswegen ich wahrscheinlich über kurz oder lang auch wieder woanders wohnen dürfte). Häufiger aber sage ich: Hier läuft ziemlich viel schief (weswegen ich mich ziemlich schnell nach einem neuen Wohnort umsehen sollte). Über dieses Schieflaufen erfahre ich im Lokaljournalismus aber so gut wie gar nichts.
Ein paar Beispiele, wahllos aus der aktuellen Ostsee-Zeitung aus Rostock (Auflage: 150200): Da geht es um eine junge Frau aus Ohio, die gerade in Wismar studiert und das, klar, nicht bereut. Durch den Rostocker Warnow-Tunnel fuhr der zweiundwanzigmillionste Fahrer und konnte sich, herzlichen Glückwunsch, über einen Geschenkkorb freuen. Das Dahlienfest in Bad Sülze feiert mit ganz originellen Werbeaktionen, natürlich, Erfolge. Alles so schön harmlos hier. Von den enormen sozialen Problem Mecklenburg-Vorpommerns: nichts. Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Wirtschaftskrise: Schweigen.

Ich kenne niemanden, der seine Lokalzeitung wirklich mag. Die Schöne sagt, sie muss das Hamburger Abendblatt (wird hier nicht mehr verlinkt, seit sie ihren Onlineauftritt kostenpflichtig gemacht haben) lesen, wegen ihres Berufs braucht sie Informationen, was in der Stadt vor sich geht. Akzeptiert - aber hier liest nicht etwa jemand die Lokalzeitung wegen ihrer Qualität, sondern nur mangels Alternative.
Nicht besser sieht es in den Städten aus, in denen ich zuvor gewohnt habe: Der Gießener Anzeiger galt in meiner Umgebung immer als Schundblatt. Die Ulmer Südwest Presse wurde als "Wildwest Presse" verballhornt. Der Berliner Tagesspiegel sahen alle als Haus- und Hofblatt des Westberliner Baumafia- und CDU-Filzes. Und, doch, eine Frau kenne ich, S., die mag ihre Lokalzeitung. Wobei S. in Frankfurt lebt und besagte Zeitung die Frankfurter Rundschau ist, die bei Licht betrachtet zwar ein Rhein-Main-Lokalblatt ist, vom Anspruch her sich selbst aber überregional einordnet. Und sich deswegen auch durchaus mal zu schreiben traut, dass die Rhein-Main-Region wohlstandsfette Provinz par excellence ist. Na gut, vielleicht in etwas anderen Worten.
Wir leben in einer Welt, die hektisch ist, globalisisert, multikulturell. Und ich fürchte, auf diese Welt haben Lokalzeitungen keine Antwort, nein, sie stellen nicht einmal die gleichen Fragen wie wir. Und ich verstehe absolut nicht, weswegen Joachim Braun glaubt, dass dieses Medium irgendeine Zukunft haben könnte.

Aber ich wünsche mir so sehr, dass es irgendwann einmal jemanden gibt, der so ähnliche Fragen stellt. Und der macht dann eine Lokalzeitung auf, schön wäre: in Hamburg. Mich hätte er als Abonnenten.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Der Lehrer spricht

So siehts aus: Die Spex, liebster Plattenrezensierer der Printmedienlandschaft, schafft die journalistische Form Plattenkritik ab. Keine apodiktische, abwägende Meinung zu einer neuen CD, dafür Gespräche. Was insbesondere in der Tagespresse hohe Wellen schlägt: Der Tagesspiegel schrieb einen Kommentar unter dem Titel "Meinung war gestern", in der FAZ durfte Altspexler Dietrich Diedrichsen einen immerhin recht differenzierten Text verfassen. Und dann, natürlich, die Kommentare.

Als dann endlich die gedruckte Spex erschien war ich ein wenig enttäuscht. Ja, es gab keine echten Rezensionen mehr, dafür gab es (manchmal leicht gekünstelt wirkende) Gespräche der Redakteure untereinander. Wie fandest dus denn? ... Ah, hm, da sagst du was ... Redet so eigentlich jemand? Aber egal.
Denn grundsätzlich ist die Idee der Spex richtig. Was ist das überhaupt für eine komische Form: Rezension? Braucht das jemand? Einen allwissenden Kritiker, der mir sagt, wie eine kulturelle Äußerung zu bewerten sei? Bildet sich so eine ästhetische Meinung? Kaum, eher doch: im Gespräch. Im diskursiven Austausch. Und einen solchen immitiert die Spex, zunächst ästhetisch vielleicht ein wenig nbeholfen, auf lange Sicht hoffentlich versierter.

Das sage ich als jemand, der, nur nebenbei, seinen journalistischen Weg im Genre Rezension begonnen hat: Jahrelang schrieb ich ausschließlich Theaterkritiken. Und fand das unheimlich wichtig. Wenn ich mir allerdings die Artikel zur Spex anschaue, dann komme ich immer mehr zur Erkenntnis: Die wirklich interessanten Argumente finde ich nicht im Text, die finde ich in den Kommentaren. Im Gespräch.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Nach drüben

Ich mag ja den Flix, also, als Comiczeichner, meine ich. Weil er einen guten Blick für Alltagssituationen hat, weil sein Strich unspektakulär ist aber genau, weil er über Männer-Frauen-Pärchensituationen Witze machen kann, die ziemlich lange Bärte haben, und trotzdem denkt man dabei nicht an Mario Barth, sondern an Loriot. Flix ist ein Guter, wirklich.
Aber natürlich ist Flix kein Subversiver. Oder er ist so rafiniert subversiv, dass ich nichtmal mitbekomme, wie er auch mich unterwandert, aber das glaube ich nicht. Vielmehr glaube ich, dass Flix un-vor-stell-bar affirmativ ist. Der will gemocht werden, der will dazu gehören. Womit Flix das Gegenmodell zum ebenfalls verehrten Mawil ist, der eigentlich immer nur zeichnet, wo er überall nicht dazu gehört. Mawil und Flix, das sind zwei Enden einer Skala, und beide Enden schätze ich auf ihre Weise.

Nun ist es so, dass Flix vor einiger Zeit begonnen hat, Interviews zu führen über das Verhältnis heutiger Thirtysomethings zur DDR. Und aus diesen Interviews hat er dann Comics gemacht, zunächst für eine Serie im Berliner Tagesspiegel, später dann für ein Buch namens "Da war mal was ...". Und für eine Ausstellung, organisiert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Und für Unterrichtsmaterialien, die von besagter Stiftung kostenlos an Lehrer und Erzieher verteilt werden. Ganz schön staatstragend, das.
Andererseits, staatstragend, gut und schön: Ich mochte die Herangehensweise von Flix, ich mochte den bitteren Humor, ich mochte den Dreh, konkrete Geschichte ohne Belehrung, ohne erhobenen Zeigefinger lebensnah im Comic zu verarbeiten. Dass ich in der Bewertung der DDR häufig eine andere Meinung habe als die in den "Da war mal was ..."-Episoden formulierte: Sei es drum. Wenn man schon nach Vorteilen des bundesrepublikanischen Systems im Vergleich zur DDR suchen muss, dann doch wohl das: Hier ist es erstmal kein Problem, wenn zwei Menschen unterschiedlicher Meinung sind, solange sie weiterhin zivilisiert miteinander umgehen. Zum Beispiel, wenn das Gegenüber so gute Umgangsformen hat wie Flix.

Nun geht "Da war mal was ..." aber weiter. Sporadisch erscheinen neue Folgen im Web, und die jüngste hat mich erschrocken. Der Protagonist gerät hier auf eine Versammlung Ewiggestriger, die betonen, dass in der DDR nicht alles schlecht gewesen sei und kommentiert das mit

"Wie krass, dachte ich. Das Leugnen der Verbrechen im Nationalsozialismus steht unter Strafe, aber das Leugnen der Verbrechen im Sozialismus nicht."

Harter Tobak. Wobei Flix für den natürlich nicht angreifbar ist, weil: Ist ja nicht er, der hier spricht. Ist ja ein Interview, ist ja Rollenprosa. Auf keinen Fall würde Flix den Nationalsozialismus mit der DDR gleichsetzen, oder?
Nein, glaube ich wirklich nicht. Flix ist kein Rechter. Bei den Gestalten, die die Episode in den Kommentaren hochjubeln, bin ich mir allerdings nicht so sicher. Wer hier von "Beste Folge für mich bisher!!! Grandios! Hoffe die kommt in der erweiterten Auflage mit rein … dann würd ich mir auch nochmal die 2. Auflag kaufen. Allein dafür!!" (sic) schwärmt, will meines Erachtens nach nur eines: einen echten Austausch verhindern, die DDR als Unrechtsstaat auf ewig in den Geschichtsbüchern verankern, jedes relativierende Bild als Geschichtsrevisionismus verdammen.
Flix unternimmt nichts gegen diese Jubelperser, da bin ich vielleicht wirklich traurig. Ein kurzer Kommentar wie "NS-DDR-Vergleiche gehen gar nicht" oder so hätte mir gereicht. Der kommt aber nicht. Wird man so, wenn man immer dazu gehören will, wenn man der Nette ist, wenn man immer affirmativ ist? Hat man dann nicht einmal etwas dagegen, wenn Rechte einem auf die Schultern klopfen, solange sie nicht Bomberjacke und Springerstiefel tragen, sondern Säuseleien wie "Gänsehaut! Wahnsinn…" auf den Lippen?

Enttäuscht.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Alptraum

Natürlich ist es schön, wenn ein Mensch, dem man so etwas schon lange gönnt, einen Literaturpreis erhält. Allerdings ist es ein wenig ein komisches Bild, wenn dieser Mensch den Preis ausgerechnet aus den Händen der konservativen Kultursenatorin empfängt und diese Hände dann auch noch schütteln muss. Und schließlich ist es ein absoluter Alptraum, wenn der Geehrtre auf dem Weg zurück zum Tisch die Kultursenatorin erschrocken ausrufen hört: "Oh, ich fürchte, da ist etwas falsch gelaufen, kommen Sie bitte wieder zurück!"

Und trotzdem: Herzlichen Glückwunsch, A.

Montag, 30. November 2009

Weg

Jenny Erpenbeck bedauert in ihrer Kolumnensammlung "Dinge, die verschwinden", dass Manieren, Benimm, Höflichkeit nicht mehr hoch im Kurs stünden. Stimmt schon, ich bedaure das auch. Früher wusste man sich noch zu benehmen, früher,

- im Mittelalter, als Frauen schnell mal auf dem Scheiterhaufen landeten und soziale wie wirtschaftliche Probleme mittels Kreuzzügen gelöst wurden.
- in den 30ern, als die Mehrheit alle, die nicht mehrheitsfähig waren, ins Gas schickte.
- in den 50ern, als unverheiratete Frauen pauschal als Huren gelten konnten.
- in den 80ern, als weltumspannnend nur noch an den eigenen Vorteil gedacht wurde, was politisch zu Reagan, Thatcher und Kohl führte.
- in den 90ern, als die gleichen Menschen, die kurz zuvor prolldoof "Wir sind ein Volk!" geblökt hatten, den rechten Arm vor brennenden Asylantenheimen hoben.

Ich mein ja nur. Davon abgesehen ist "Dinge, die verschwinden" allerdings ein sehr, sehr schönes Buch. Echt.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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Zuletzt aktualisiert: 20. Jun, 17:37

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