Martinsfeuer

Obwohl ich brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel halte,
getraue ich mich nicht, eines anzuzünden,
da ich viele Freunde habe,
die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.


Die Goldenen Zitronen, Bloß weil ich friere

In Berlin und Hamburg brennen Autos, mehr noch: Polizisten werden konkret angegriffen. Die frisch auf die Menschheit losgelassene Familienministerin Kristina Köhler betont, dass die Angreifer sofort alle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollen. Und auf den Kommentarseiten von FAZ, Welt und Hamburger Abendblatt kommen sofort wieder die erwartbaren Idioten aus ihren Löchern, die schon immer wussten, dass Rechts- wie Linksradikale erwiesenermaßen das Gleiche seien, weswegen tunlichst der Kampf gegen rechts zurückgefahren gehört, damit man sich zukünftig erfolgreicher dem Kampf gegen links widmen könne.

Bevor mir jetzt irgendjemand unterstellt, ich wolle nur Gewalt entschuldigen: Will ich nicht. Ich will allerdings schon klarstellen, dass es einen ziemlich deutlichen Unterschied zwischen Rechten und Linken gibt: Wenn jemand in der Überzahl und damit aus einer Machtposition heraus einzelne Migranten, Behinderte oder Schwule zusammenschlägt, dann ist das nicht das Gleiche wie wenn jemand aus einer Schwachsinnsposition heraus ein paar Steine gegen bis auf die Zähne bewaffnete Staatsschützer schmeißt. Wer behauptet, rechts und links seien austauschbar, der will in Wahrheit nur relativieren.
Aber gut. Dann behandeln wir mal beide Gruppen gleich, einfach als Gedankenspiel. Und in diesem Spiel sollte man erstmal fragen: Weswegen wird jemand zum Rechten? Weil er womöglich in Sachsen-Anhalt lebt, ohne Perspektive, ohne Chance, ohne Respekt. Und weil er leider auch ein bisschen doof ist (wofür er nichts kann), glaubt er Leuten, die nicht ganz so doof sind, dafür aber fies, die ihm erzählen, dass an seiner Misere in erster Linie Migranten schuld sind. Und diejenigen, die seinen mühsam gezüchteten Männerstolz in Frage stellen, Schwule. Und diejenigen, die einfach noch ein klein wenig schwächer sind als er, Behinderte. Auf die haut er dann drauf. Das ist nicht zu entschuldigen, irgendwie aber ist es verständlich.
Denn: An der Perspektivlosigkeit des anhaltiner Jungmannes ist ja wirklich was dran. Nur den Grund für diese Perspektivlosigkeit überblickt er nicht. Wenn es nun so ist, dass dieser Grund ein Wirtschaftssystem ist, das auf Gewinnmaximierung baut, ein Gesellschaftssystem, das auf Konkurrenz baut, ein Beziehungsgeflecht, das auf Hierarchien und Autorität baut, dann prügelt er nicht auf Andere ein, dann prügelt er gegen das System. Dann zündet er das Auto eines Werbers an, dann schmeißt er die Scheibe eines Luxusrestaurants ein.

Nie würde ich ein Auto anzünden, ich habe Schiss. Aber: Ich freue mich über jedes brennende Werberauto. Und ich platze vor Wut, wenn ich höre, dass der neben dem Werberauto geparkte Lieferwagen eines türkischen Gemüsehändlers ebenfalls in Flammen aufgegangen ist, das nur nebenbei. Allerdings: Wer Menschen angreift und keine Autos, der hat nichts verstanden. Der ist kein Rechter, der ist kein Linker, der ist einfach nur ein Depp.

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Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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