Morrissey

Vorwort
Steven Patrick Morrissey, geboren 1959 in Manchester als Kind irischer Einwanderer. Katholik, Migrationshintergrund. Von 1982 bis 87 Sänger der Band The Smiths, seither solo.

1. Pubertät
Morrissey singt über die schlimmste Zeit im Leben. Morrissey singt über das Erwachsenwerden, über das Erwachen, über die Pubertät. Morrisseys Texte sind zum Sterben traurig und zum Schreien lächerlich. "There's a club if you'd like to go/You could meet somedody who really loves you/So you go and you stand on your own/And you leave on your own/And you go home and you cry/And you want to die." ("How soon is now?", aus: The Smiths, "Hatful of hollow", 1984) Sterben, wollten wir damals alle, nein? "If you're so funny/then why are you on your own tonight?/And if you're so clever/then why are you on your own tonight?/If you're so very entertaining/then why are you on your own tonight?/If you're so very good-looking/Why do you sleep alone tonight?/I know/'Cause tonight is just like any other night/That's why you're on your own tonight." ("I know it's over", aus: The Smiths, "The queen is dead", 1986). Das Gesamtwerk Morrisseys besteht fast ausschließlich aus solchen Texten: Du hast keine Chance. Daran wird sich nie etwas ändern. Falls dir jemand erzählt haben sollte, dass es besser wird: Er hat gelogen. Gut für den Autor: dass die Pubertät mittlerweile bis ins hohe Alter verlängert ist. Eigentlich sollten wir erwachsen werden. Wir werden es aber nicht, deswegen behalten auch Morrisseys Texte weiter ihre Gültigkeit. Für uns.

2. Sex
Ungenau wird "queer" (eigentlich: "seltsam") gerne mit "schwul" übersetzt. Dabei meint Queerness etwas anderes: eine Sexualität jenseits strenger Kategorien wie Hetero-, Homo- oder Bisexualität. Michael Stipe von R.E.M. ist queer. Morrissey ist queer, im angedeuteten Zölibat früher Songs ("I'm writing this to say/In a gentle way/Thank you, but no/I will live my life as I/Will undoubtfully die - alone", "Will never marry" aus "Bona Drag", 1990) ebenso wie in den expliziten Passagen neuerer Texte ("Now I'm spreading your legs/With mine in-between", "Dear god, please help me" aus "Ringleader of the tormentors", 2006). Eigentlich geht es bei Morrissey immer um Sex, auch wenn es meistens darum geht, keinen zu haben. Wobei schon angemerkt werden sollte, dass der Autor vorgibt, keinen zu haben, weil er keinen haben will, während seine Hörer unter Umständen schon gerne hätten. Aber keinen kriegen.

3. Kunst
Oscar Wilde, William Butler Yeats. Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti. Die Schönheit großer Hollywooddiven, das Alter, der Verfall. "I’m throwing my arms around, around Paris/Because only stone and steel accept my love" singt Morrissey (in "I'm throwing my arms around Paris", aus "Years of refusal", 2009), und wenn wir einmal annehmen, dass Paris diese Umarmung erwidert, dann muss man kein Freudianer sein, um zu erahnen, welche Funktion der Eiffelturm hier einnimmt. Ja, Morrissey brachte uns Kunst nahe, Literatur, Film, Architektur. Und, ja, leider ist Morrissey dabei irgendwo stehen geblieben, jeder Blick auf die Kunst ist bei ihm ein ironisches, schwärmerisches, spöttisches Beschauen des Verfalls. Von Postmoderne, von Dekonstruktion weiß er nichts, sein Kunstbild ist ein beschränktes, leider.

4. Nation
Davon müssen wir eben auch sprechen. Von den hässlichen Bildern, Morrissey in einen Union Jack gewickelt auf der Bühne, singt: "England for the english!" ("The national front disco", aus "Your Arsenal", 1992). Von Interviews, in denen Morrissey über England herzieht, das überschwemmt sei von Pakistanis und Indern. Wir sprechen hiervon: "I've been dreaming of a time when/To be english is not to be baneful,/To be standing by the flag, not feeling shameful/Racist or partial (...) I've been dreaming of a time when/The english are sick to death of labour and tories." ("Irish blood, english heart", aus "You are the quarry!", 2004). Das erinnert schwer an "Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche". Und das ist von Wilhelm II, beim Ausbruch des 1. Weltkriegs. Vielleicht ist das Rollenprosa. Vielleicht ist Morrissey tatsächlich ein Rechter. Vielleicht spricht hier auch nur jemand, der allzu häufig mit Migranten aneinander geraten ist, die wenig mit queerer Sexualität anfangen können. Was nichts daran ändert: Es ist hässlich.

5. Musik
Ja, die Musik. Man muss sagen: So originell Morrisseys Selbststilisierung ist, so gut seine Texte sind - seine Musik ist sterbensöde. Ein schwerfälliger Mix aus Hardrock, Glam, Punk und urbritischem Pubrock. Für den Morrissey wenig kann: Keine einzige Melodie hat er je selbst geschrieben, wahrscheinlich ist er schlicht unmusikalisch. "She said: "Eh, I know and you cannot sing!"/I said: "That's nothing, you should hear me play piano!"" ("The queen is dead", aus The Smiths, "The queen is dead", 1986). Zu Smiths-Zeiten hatte er noch einen kongenialen Komponisten wie Johnny Marr an seiner Seite, heute sind es Alain Whyte oder Boz Boorer. Kann man da mehr erwarten, von Leuten mit solchen Namen? Boz?

Nachwort
Morrissey trägt das Haar schütter. Morrissey wird grau. Morrissey bekommt Falten. Morrissey hat ganz schön einen Bauch. Alt werden. Auf den Backcover der aktuellen Single I'm throwing my arms around Paris gibt es ein Nacktfoto. So siehts aus.

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Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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