Unter Krähen
Abb.: © Herzog & de Meuron
Vor meiner Haustür wächst sie langsam in die Höhe: die Elbphilharmonie, ein Konzerthaus der Superlative. Riesig, mit der besten Akustik, die derzeit auf dem Markt ist, ein architektonisches Kleinod aus der Hand der schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron, das als Dachskulptur den wogenden Ozean zitiert, nicht zuletzt eine Landmarke, ein neues, postmodernes Wahrzeichen des Hamburger Hafens. Schön. Und langsam nimmt das Ding Gestalt an. Sehr langsam.
Eigentlich hätte diesen Herbst Eröffnung gefeiert werden sollen, eigentlich, das heißt: Als die Planungen 2003 der Öffentlichkeit präsentiert wurden, dachte man so. Mittlerweile hofft Intendant Christoph Lieben-Seutter auf eine Eröffnung im Mai 2012, woher er diese Hoffnung nimmt, bleibt unklar. Parallel explodieren die Kosten, von 150 Millionen Euro 2003 auf aktuell 450 Millionen, von denen die Stadt Hamburg, also die Öffentlichkeit, 323 Millionen zu schultern hätte.
Mittlerweile aber haben wir Finanzkrise, die öffentliche Hand schraubt Investitionen zurück, wo es nur geht, es wird gespart am Schulessen, an Unterstützung von ALG-II-Empfängern beim ÖPNV, an Schulen und Kitas. Und an der Kultur. Museen werden teurer, Theater müssen die Preise ebenso erhöhen. Und im Hafen wächst die Elbphilharmonie langsam in die Höhe, für 450 Millionen Euro.
Die Elbphilharmonie hat sich mittlerweile zum Hassobjekt entwickelt, unter Linken wie in der Kulturszene. Und es ist ja auch nachvollziehbar: An allen Ecken wird gespart, Soziales wie Kultur werden bis zum ganz konkreten Ersticken gewürgt, und im Hafen wird ein Projekt hochgezogen, das (mit Ausnahme der unzweifelhaft spektakulären Architektur) keinerlei künstlerische Avanciertheit erkennen lässt, koste es, was es wolle. Und da passt natürlich auch die schwarz-gelbe Umverteilungsdebatte gut ins Bild: Denen unten wird genommen (nämlich das kostenlose Schulessen oder die bezahlbare Karte fürs wirklich avancierte Theater), denen oben wird gegeben (nämlich ein Konzerthaus, das Programm und Preise schon entsprechend anpassen wird, damit niemand von unten hier reinkommt).
Dieser Hass ist verständlich. Aber ist er auch sinnvoll? Es hat der Kulturszene nie gut getan, wenn sie gespalten wurde. Beispielsweise war es ein großer Fehler des Theaters in den Achtzigern, sich in (vorgeblich avancierte) Off-Szene und (vorgeblich altbackenes) Stadttheater auseinanderdividieren zu lassen. Eine Krähe sollte der anderen kein Auge aushacken, tut sie es doch, besteht die Gefahr, dass am Ende beide Krähen verlieren und nur die Vogelscheuche gewinnt. Denn glaubt irgendjemand ernsthaft, dass sich die Kosten für die Elbphilharmonie andernorts in der Kulturszene besser anlegen ließen? Und sieht eigentlich jemand, was für Peanuts die Beträge sind, über die wir hier reden, im Vergleich zu echten Umverteilungsgeschichten wie den FDP-Geschenken an die privaten Krankenversicherungen?
Ja, die Elbphilharmonie steht wahrscheinlich für eine Kultur, die nicht die meine ist. Es gibt auch Viele, die nichts mit der Ästhetik des Thalia Theaters anfangen können, das sei ihnen unbenommen. Nur wenn sie fordern, dem Thalia die Unterstützung zu streichen, dann werde ich aggresiv.
Ein anderes Thema ist natürlich, weswegen eigentlich niemand die Verträge so gestaltet hat, dass man von a) einem festen Preisrahmen und b) einem klaren Zeitplan ausgehen konnte. Läuft das so ab, dass ein Baukonzern ankündigt, dass er mal anfängt zu arbeiten, wieviel es kostet, könne er aber noch nicht sagen, und die Arbeitsdauer, naja, da müsse man auch mal sehen? Oder haben sich die Verantwortlichen auf städtischer Seite schlicht über den Tisch ziehen lassen? Dann muss man sich schon die Frage stellen, weswegen man diesen Verantwortlichen, namentlich der regierenden CDU, auch nur eine Handvoll wirtschaftlichen Sachverstands zutraut.
Aber die Frage stellt ja niemand. Es ist ja viel wichtiger, die Elbphilharmonie grundsätzlich in Frage zu stellen.
zahnwart - 27. Jan, 08:02
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