Eine Erinnerung
Zum ersten Mal fiel mir H. auf, wie er 1993 am Gießener Bahnhof im Reisezentrum stand und einen Riesenterz machte. Irgendetwas lief nicht so, wie es laufen sollte, also brüllte H. rum, im breiten Schweizerdeutsch, beschimpfte die Bahn, die Mitarbeiterin hinter dem Tresen, Deutschland als Ganzes und Gießen im Besonderen. Unmöglich verhielt er sich, eigentlich. Und ich war fasziniert.
Seit Sommer war H. Tanzdramaturg am örtlichen Stadttheater. Eigentlich eine gute Sache: Die oft stiefmütterlich behandelte Tanzsparte wurde aufgewertet, indem man ihr einen eigenen Dramaturgen zugestand, das war Anfang der Neunziger noch alles andere als selbstverständlich, zumal an einem kleinen Theater. Auf der anderen Seite war es eben auch halbherzig, es gab zwar diese Dramaturgenstelle, aber auch nicht mehr, die Ausstattung war ein Witz. Man wollte einen Querkopf wie H. ans Theater binden, aber welche Form diese Bindung haben sollte, blieb unklar. Also schuf man eine Stelle, wie man sie bislang noch nicht hatte, H. war erstmal versorgt. Diese Stelle aber ins Theatergefüge einzubauen, schien niemand für notwendig zu halten.
Drei Jahre später hatte ich zum ersten Mal direkt mit H. zu tun. Mittlerweile gab es die Position des Tanzdramaturgen nicht mehr, H. war künstlerischer Leiter einer Nebenspielstätte. Also: Chef. Allerdings mit beschränkten Befugnissen, seine Spielstätte war zur Hälfte an eine Kneipe verpachtet, die den Theaterbetrieb gerne auf Null runter gefahren hätte, außerdem liefen dort ganz reguläre Schauspiel- und Kammeropernproduktionen, die das Haupthaus nicht gefüllt hätten. Für eine eigene Handschrift als künstlerischer Leiter blieb da wenig Raum, eigentlich war H.s Hauptaufgabe, ein kleines Tanzfestival zum Spielzeitende zu organisieren. Und bei dieser Organisation war ich H.s Praktikant.
H.s Büro lag in einem versteckten Winkel des Stadttheaters, unterm Dach, hinter der Dramaturgie. Auffallend war: H. hatte zwar ein Telefon, allerdings konnte man ihn nur anrufen. Wollte er telefonieren, musste er das an der Pforte anmelden, die dann die Verbindung für ihn herstellte. Nahm ich damals für selbstverständlich, war aber: eine ganz klare Demütigung. Andererseits gab es womöglich doch Gründe für diese Praxis, H. telefonierte schon gerne mit der Schweiz. Sehr gerne. Keine Ahnung, wie hoch seine Telefonrechnung tatsächlich war.
Das Praktikum bestand aus: Künstlerbetreuung, Programmheft schreiben, Abendspielleitung. Dramaturgenalltag. H. war fast nie da, das war auf der einen Seite nervtötend, weil ich eigentlich nicht betreuet wurde, auf der anderen Seite waren die eingeladenen Künstler fast ausschließlich Kumpels von H., die wussten schon, was zu tun war. Vom Bahnhof abholen, ins Hotel bringen, sagen, wo das Theater ist, das war eigentlich schon die ganze Künstlerbetreuung. Und nach der Vorstellung trinken.
Eine Spielzeit später kündigte H., oder ihm wurde gekündigt, oder ihm wurde die Kündigung nahe gelegt, ganz geklärt wurden die Umstände nie. Allerdings hatte er den neuen Intendanten lauthals als Faschisten beschimpft, ich kann schon verstehen, dass der nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Ob H. gut in seinem Job war? Die Umstände auf jeden Fall waren es nicht. Ich genoss das Praktikum bei H., ich fühlte mich ihm irgendwie nahe, aber wenn ich heute Praktikanten betreue, bemühe ich mich, mit ihnen anders umzugehen als H. mit mir. Wahrscheinlich bin ich ein Spießer.
Seit Sommer war H. Tanzdramaturg am örtlichen Stadttheater. Eigentlich eine gute Sache: Die oft stiefmütterlich behandelte Tanzsparte wurde aufgewertet, indem man ihr einen eigenen Dramaturgen zugestand, das war Anfang der Neunziger noch alles andere als selbstverständlich, zumal an einem kleinen Theater. Auf der anderen Seite war es eben auch halbherzig, es gab zwar diese Dramaturgenstelle, aber auch nicht mehr, die Ausstattung war ein Witz. Man wollte einen Querkopf wie H. ans Theater binden, aber welche Form diese Bindung haben sollte, blieb unklar. Also schuf man eine Stelle, wie man sie bislang noch nicht hatte, H. war erstmal versorgt. Diese Stelle aber ins Theatergefüge einzubauen, schien niemand für notwendig zu halten.
Drei Jahre später hatte ich zum ersten Mal direkt mit H. zu tun. Mittlerweile gab es die Position des Tanzdramaturgen nicht mehr, H. war künstlerischer Leiter einer Nebenspielstätte. Also: Chef. Allerdings mit beschränkten Befugnissen, seine Spielstätte war zur Hälfte an eine Kneipe verpachtet, die den Theaterbetrieb gerne auf Null runter gefahren hätte, außerdem liefen dort ganz reguläre Schauspiel- und Kammeropernproduktionen, die das Haupthaus nicht gefüllt hätten. Für eine eigene Handschrift als künstlerischer Leiter blieb da wenig Raum, eigentlich war H.s Hauptaufgabe, ein kleines Tanzfestival zum Spielzeitende zu organisieren. Und bei dieser Organisation war ich H.s Praktikant.
H.s Büro lag in einem versteckten Winkel des Stadttheaters, unterm Dach, hinter der Dramaturgie. Auffallend war: H. hatte zwar ein Telefon, allerdings konnte man ihn nur anrufen. Wollte er telefonieren, musste er das an der Pforte anmelden, die dann die Verbindung für ihn herstellte. Nahm ich damals für selbstverständlich, war aber: eine ganz klare Demütigung. Andererseits gab es womöglich doch Gründe für diese Praxis, H. telefonierte schon gerne mit der Schweiz. Sehr gerne. Keine Ahnung, wie hoch seine Telefonrechnung tatsächlich war.
Das Praktikum bestand aus: Künstlerbetreuung, Programmheft schreiben, Abendspielleitung. Dramaturgenalltag. H. war fast nie da, das war auf der einen Seite nervtötend, weil ich eigentlich nicht betreuet wurde, auf der anderen Seite waren die eingeladenen Künstler fast ausschließlich Kumpels von H., die wussten schon, was zu tun war. Vom Bahnhof abholen, ins Hotel bringen, sagen, wo das Theater ist, das war eigentlich schon die ganze Künstlerbetreuung. Und nach der Vorstellung trinken.
Eine Spielzeit später kündigte H., oder ihm wurde gekündigt, oder ihm wurde die Kündigung nahe gelegt, ganz geklärt wurden die Umstände nie. Allerdings hatte er den neuen Intendanten lauthals als Faschisten beschimpft, ich kann schon verstehen, dass der nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Ob H. gut in seinem Job war? Die Umstände auf jeden Fall waren es nicht. Ich genoss das Praktikum bei H., ich fühlte mich ihm irgendwie nahe, aber wenn ich heute Praktikanten betreue, bemühe ich mich, mit ihnen anders umzugehen als H. mit mir. Wahrscheinlich bin ich ein Spießer.
zahnwart - 3. Feb, 08:39
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