Sprechen
Interviews sind eine eigenartige journalistische Form. Man sitzt mit jemandem beim Kaffee, der antwortet auf Fragen, und hinterher schreibt man einen Text, in dem der Gesprächspartner anderes sagt als das, was er erzählt hat.
Oh je, gleich brüllen sie wieder, "Journalisten verfälschen Interviews, ich hab's ja schon immer gewusst!"
Nein, natürlich verfälschen wir keine Interviews. Wir lassen nur niemanden wie einen Trottel dastehen, wenn er in Wahrheit kein Trottel ist. Wer schon einmal das wörtliche Transkript eines Gesprächs gelesen hat, der wird mir zustimmen: Das ist nicht lesbar. Das gibt auch nicht die Eigenarten des Gesprächspartners wieder, mit allen Verkürzungen, allen Äh, Öhs, allen nicht zuende geführten Sätzen und allen Wortwiederholungen. Ein Gespräch ist mehr als das gesprochene Wort, und ein gedrucktes Interview muss dieses "Mehr" nachzeichnen, obwohl nur gesprochene Worte gedruckt werden. Deswegen bearbeiten wir Interviews.
Aber: Warum dann nicht von vornherein einen eigenen Text, warum diese Illusion eines Gesprächs, das so doch nie geführt wurde?
Weil das Gespräch schon längst begonnen wurde, lange bevor wir den Kaffee einschenkten. Zumindest wenn ich mich mit Kunst beschäftige: Ein Kunstwerk gibt keine Antworten, ein Kunstwerk stellt Fragen. Wenn ich einen Künstler interviewe, führe ich diese Fragestellungen weiter, stelle Gegenfragen, werde irritiert, gerate auf den Holzweg, finde wieder in die Spur.
Das sind Fragen, die nur mittelbar mit dem konkreten Kunstwerk zu tun haben - und dennoch reden wir immer nur über dieses Kunstwerk, sonst über nichts. Ich halte wenig davon, einen Künstler zu fragen, was er von der Gesundheitsreform hält, aber wer weiß, vielleicht sprechen wir über die Gesundheitsreform, wenn wir über sein Kunstwerk sprechen? Genauso die Fragen nach "Privatem", die viele nicht so gerne mögen, weil sie doch nur über ihren Beruf sprechen möchten. Was soll das? Mich interessiert kein Gossip, mit wem der Künstler schläft, ist mir egal. Was mir nicht egal ist: Ob er mit einem Mann schläft oder mit einer Frau, ob er überhaupt mit jemandem schläft. Weil es vermessen ist, den Einfluss von Sexualität auf unsere Weltsicht zu negieren (und weil ich glaube, dass zum Beispiel die Erfahrung eines Coming outs so prägend ist für eine Persönlichkeitsentwicklung, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass unter heterosexuellen Bedingungen entstandene Kunst sich nicht von unter homosexuellen Bedingungen entstandener Kunst unterscheidet).
Moritz von Uslars 100-Fragen-Interviews fürs Magazin der Süddeutschen Zeitung (als Beispiel das schöne Gespräch mit Lemmy von 2003) galten lange als stilbildend. Ich bin da skeptisch. Von Uslar hat da eine originelle, unterhaltsame Form gefunden, bleibt aber extrem formalistisch. Formalismus ist aber nicht das, was ich bei Interviews möchte. Ich möchte Abschweifen, ich möchte Fragen finden, während ich sie stelle, ich möchte keine Antworten, sondern Gegenfragen.
Ich glaube, ich mag Interviews sehr gerne.
Oh je, gleich brüllen sie wieder, "Journalisten verfälschen Interviews, ich hab's ja schon immer gewusst!"
Nein, natürlich verfälschen wir keine Interviews. Wir lassen nur niemanden wie einen Trottel dastehen, wenn er in Wahrheit kein Trottel ist. Wer schon einmal das wörtliche Transkript eines Gesprächs gelesen hat, der wird mir zustimmen: Das ist nicht lesbar. Das gibt auch nicht die Eigenarten des Gesprächspartners wieder, mit allen Verkürzungen, allen Äh, Öhs, allen nicht zuende geführten Sätzen und allen Wortwiederholungen. Ein Gespräch ist mehr als das gesprochene Wort, und ein gedrucktes Interview muss dieses "Mehr" nachzeichnen, obwohl nur gesprochene Worte gedruckt werden. Deswegen bearbeiten wir Interviews.
Aber: Warum dann nicht von vornherein einen eigenen Text, warum diese Illusion eines Gesprächs, das so doch nie geführt wurde?
Weil das Gespräch schon längst begonnen wurde, lange bevor wir den Kaffee einschenkten. Zumindest wenn ich mich mit Kunst beschäftige: Ein Kunstwerk gibt keine Antworten, ein Kunstwerk stellt Fragen. Wenn ich einen Künstler interviewe, führe ich diese Fragestellungen weiter, stelle Gegenfragen, werde irritiert, gerate auf den Holzweg, finde wieder in die Spur.
Das sind Fragen, die nur mittelbar mit dem konkreten Kunstwerk zu tun haben - und dennoch reden wir immer nur über dieses Kunstwerk, sonst über nichts. Ich halte wenig davon, einen Künstler zu fragen, was er von der Gesundheitsreform hält, aber wer weiß, vielleicht sprechen wir über die Gesundheitsreform, wenn wir über sein Kunstwerk sprechen? Genauso die Fragen nach "Privatem", die viele nicht so gerne mögen, weil sie doch nur über ihren Beruf sprechen möchten. Was soll das? Mich interessiert kein Gossip, mit wem der Künstler schläft, ist mir egal. Was mir nicht egal ist: Ob er mit einem Mann schläft oder mit einer Frau, ob er überhaupt mit jemandem schläft. Weil es vermessen ist, den Einfluss von Sexualität auf unsere Weltsicht zu negieren (und weil ich glaube, dass zum Beispiel die Erfahrung eines Coming outs so prägend ist für eine Persönlichkeitsentwicklung, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass unter heterosexuellen Bedingungen entstandene Kunst sich nicht von unter homosexuellen Bedingungen entstandener Kunst unterscheidet).
Moritz von Uslars 100-Fragen-Interviews fürs Magazin der Süddeutschen Zeitung (als Beispiel das schöne Gespräch mit Lemmy von 2003) galten lange als stilbildend. Ich bin da skeptisch. Von Uslar hat da eine originelle, unterhaltsame Form gefunden, bleibt aber extrem formalistisch. Formalismus ist aber nicht das, was ich bei Interviews möchte. Ich möchte Abschweifen, ich möchte Fragen finden, während ich sie stelle, ich möchte keine Antworten, sondern Gegenfragen.
Ich glaube, ich mag Interviews sehr gerne.
zahnwart - 21. Mai, 17:57
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