Freitag, 11. Juni 2010

Wir Nazienkel

Politische Psychologie ist eine eigenartige Disziplin. Politische Psychologie erklärt das, naja, spezielle Verhältnis der jüngeren deutschen Linken gegenüber Israel, und zwar nach dem Prinzip: Wir haben uns so intensiv mit den Untaten unserer Großväter auseinander gesetzt, wir haben uns so leidenschaftlich von ihnen distanziert, dass wir Israel mit aller Härte kritisieren dürfen. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Klingt blödsinnig, aber vielleicht ist ja was wahres dran. Dass eine linke Gruppe aus dem "Internationalen Zentrum B5" eine (durchaus umstrittene) Filmvorführung im Hamburger Kino B-Movie dadurch torpediert, indem sie die Kinobesucher einen improvisierten Checkpoint passieren lässt und nichtmal merkt, was es im Kontext Israel für Bilder weckt, wenn Deutsche Andersdenkende durch einen Stacheldrahtverhau treiben, das ist schon ein starkes Stück.
In der "Welt" erklärt Maler Daniel Richter diese grauenhaft aus dem Ruder gelaufene Inszenierung mit der oben skizzierrten Politischen Philosphie: "(...) an Israel will man etwas beweisen. Man will beweisen, dass man mindestens genauso gut ist wie der Gegenüber. Vielleicht sogar besser. Man will die eigene moralische Überlegenheit demonstrieren. Die Kinder der Nazis wollen gerechter sein als die Juden, um den Juden beweisen zu können, dass diese mit der Staatsgründung Israels genauso Verbrecher geworden sind wie die Nazis." Der (mittlerweile zu diesem Artikel nicht mehr zugängliche) Kommentarbereich haut (wie in den Kommentaren der Welt üblich) Richters differenzierte Analyse über den Haufen und lässt die rechte Volksseele hemmungslos wüten: Die Linken sind die wahren Antisemiten, rechte Antisemiten gibt es eigentlich gar keine. Was historisch natürlich Blödsinn ist, aber historisch firm sind Welt-Leser bekanntermaßen grundsätzlich nicht.

Das ist die eine Seite. Die andere ist die: Muss ich, nur weil ich Deutscher bin, mir meiner historischen Verantwortung bewusst bin und die Politische Ästhetik der "Warum Israel"-Blockade unerträglich finde, die israelische Politik grundsätzlich gut finden? Denn es gibt nicht nur die Linke, die sich vor Hamburgerb Kinos unmöglich macht und so zumindest auf der optischen Ebene eine Verbindung zum Faschismus herstellt, es gibt beispielsweise die Antideutschen, die als reflektierte Nazienkel jede politische Frage mit der Frage verknüpfen, was das jeweilige Thema mit ihrer bedingungslosen Solidarität mit Israel zu tun hat. Was ganz eigene Koalitionen zur Folge hat: Antideutsche etwa waren im Irakkrieg pro Bush, weil Bush laut dieses verqueren Weltbilds gegen den Irak war und der Irak erklärtermaßen gegen den Staat Israel war.
Ohnehin ist Philosemitismus heute im Gegensatz zur Weimarer Republik eher rechts zu Hause: Der Springer-Verlag etwa hat die Solidarität mit Israel an prominenter Selle in seinen Unternehmensgrundsätzen festgeschrieben.

In seinem Verhältnis zu Israel kann man als durchschnittlicher linker Nazienkel demnach eigentlich nur alles falsch machen. Entweder man positioniert sich eindeutig Anti-Israel, dann steht man plötzlich in faschistischer Ästhetik vor Kinos rum und bekommt womöglich noch Applaus von Altnazis, die schon immer der Meinung waren, dass Opa vor 70 Jahren seinen Job einfach nicht gut genug gemacht hat. Oder aber man gibt sich pro-israelisch und findet sich über die Solidaritätsschiene plötzlich mit Rechtskonservativen im gleichen Bett wieder. Differenziert sein kann man nicht, und da haben wir wieder die Fallstricke der Politischen Psychologie. Die Logik sagt: Ja, man muss Israel vernünftig kritisieren können. Aber, leider, Psychologie ist nicht logisch.

Nein, ich weigere mich, beim Ship-to-Gaza-Zwischefall ausschließlich auf die israelische Berichterstattung zu vertrauen. Ich glaube grundsätzlich, dass es nicht nötig ist, eine hochgerüstete Militäreinheit ein Massaker veranstalten zu lassen, weil sie von Terroristen (?) mit Waffen wie Stahlknüppeln (!) angegriffen werden.
Doch, ich glaube, dass die israelische Bevölkerung ein Recht auf friedliches Leben in einem eigenen Land hat. Und ich denke auch, dass es historisch begründbar ist, dieses Land in der Gegend des heutigen Staates Israel anzusiedeln.
Nein, ich habe meine Zweifel an der Tauglichkeit der Zwei-Staaten-Lösung. Wie sollte ein eigenständiger Palästinenserstaat überlebensfähig sein? Unabhängig von Israel, das wird schon geographisch schwierig. Die einzige Möglichkeit für einen Palästinenserstaat wäre eine Achse Gaza-Damaskus-Teheran - und die können weder Israel noch die USA wollen.
Überhaupt, die USA. Ich würde nie behaupten, dass der Staat Israel ein Produkt der USA wäre. Aber: Den USA kommt es sehr gelegen, mit Israel einen eindeutig westlich orientierten Verbündeten im Nahen Osten zu haben. Und, tut mir leid, als jemand der die Rolle der USA in der Welt mehr als kritisch betrachtet, habe ich bei dieser Konstellation Bauchschmerzen, zumal Israel als einziger Staat Atomwaffen besitzt.

Über diese Punkte würde ich mir gerne Gedanken machen. Klappt nicht. Meine Psyche steht mir im Weg, wieder mal.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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