Pet Shop Boys

Die Neunziger waren wohl die Zeit, in der mein Musikgeschmack sich verfestigte. In den Neunzigern begann ich, konsequent Indie zu hören. Indie weniger als Genre denn vielmehr als Haltung: Indie als Gegenbewegung zur Authentizitätslüge des Rock, Indie als Verneinung von Heterosexismus, Indie als gelebte Grenzüberschreitung. In den Neunzigern wurden Fragen nach Genres, nach Kommerzialität, nach Zugänglichkeit unwichtig für mich: In den Neunzigern gab ich allem erstmal eine Chance, sofern es nur irgendwie als Indie durchging.

Eigenartigerweise konnte ich in den Neunzigern rein gar nichts mit den Pet Shop Boys anfangen.

Die Pet Shop Boys, das waren für mich die ohrenfreundlichen Elektropopper zwischen 1986 und 1990, mit ihren Hits "West End Girls", "Suburbia" und "So Hard". Und die Pet Shop Boys waren für mich die campy Dancefloor-Grandseigneurs zwischen 2002 und heute, mit den Nicht-mehr-wirklich-Hits "Home and dry", "Numb" und "Love etc.". Dazwischen lagen für mich irgendwie peinliche Dancefloor-Stampfer, "Se a vida é", "New York City Boy" (von Jürgen Laarmann auch noch ganz grauenhaft als "Berlin Mitte Boy" recyclet) und, ganz schlimm, "Go west". Und ältere Männer, die nicht wirklich vom Dancefloor runter fanden.
Dass das Ergrauen und Verfetten von Neil Tennant und Chris Lowe in Wahrheit etwas mit schwulen Glamourkonzepten zu tun hatte, war mir natürlich nicht klar. Tatsächlich erkennt man diesen Sinn des Betonens junger Körper (während der eigene Körper längst nicht mehr jung ist) am Besten bei den "Live"-Auftritten der Pet Shop Boys: wenn (der gnädig Playback-verstärkte) Tennant von jugendlichen Tänzern umschwärmt wird und selbst im eigenartig hochgeschlossenen Anzug wirkt als, ob sein Herz diese Aufregung nicht mehr lange mitmachen wird. Das ist Gustav von Aschenbach in "Tod in Venedig", das ist Dekadenz, das ist Zerfall, das ist Camp. Verstand ich damals nicht, in den Neunzigern, vielleicht war ich damals ungerecht, erwartete eine Authentizität in der Authentizitätsverweigerung und wollte mit dem Pet-Shop-Boys-eigenen Beschwören von Pathos, Kitsch und Sentiment einfach nichts anfangen.

Oder vielleicht war ich einfach auch nur unbewusst homophob. Schon früh, spätestens seit "It's a sin" (1987) las ich die Songs von Tennant/Lowe eindeutig als schwul. Dass Tennant unlängst bekannte, sich erst Ende der Neunziger über seine sexuelle Orientierung klar geworden zu sein - egal. Denn mal ehrlich: Gibt es eine schwulere Ästhetik als das Video zu "Being boring" (1990)?

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Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

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Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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