Radlosigkeit

Ich fahre gerne Rad, doch. Ich mag es nur nicht, wenn dieser Spaß am Radfahren den Charakter einer Freizeitbeschäftigung annimmt, das hat dann was von Sport, und Sport finde ich grundsätzlich: doof. Aber mit dem Fahrrad von Punkt A nach Punkt B zu zuckeln, weil ich zu Punkt B muss, das ist okay.
Was ich außer Sport auch doof finde: mein Fahrrad zu pflegen. Darauf zu achten, dass Bremsen und Beleuchtung funktionieren. Reifen zu flicken. Oder Geld dafür auszugeben, dass andere meine Reifen flicken. Morgens mein Rad aus dem Keller auf die Straße wuchten, abends das Ganze zurück. Doof.

Für Leute wie mich gibt es die Hamburger Stadträder. Leihfahrräder, die an bestimmten über die Stadt verteilten Stationen mitgenommen werden können, um dann an einer anderen Station wieder abgegeben zu werden. Ich weiß, solche Systeme gab es schon häufiger, in Amsterdam, in Kopenhagen, in Helsinki. Fast immer war es dort so, dass die Räder über kurz oder lang geklaut und damit unbrauchbar waren: Selbst das uncoolste Leihfahrrad hat Teile, die sich für ein paar Cent weiterverkaufen lassen. Und wenn sich die Dinger partout nicht zu Geld machen lassen, dann zersticht der gemeine Alltagsvandale eben mal die Reifen.
In Hamburg geht man das Thema weniger naiv an: Um die Räder auszuleihen, muss man sich per Kredit- oder EC-Karte identifizieren, außerdem muss man online registriert sein. Zudem kosten längere Ausleihphasen, wer ein Rad über 30 Minuten nutzt, zahlt. Nicht viel, drei bis vier Cent pro Minute, aber immerhin. Dafür sind die Räder topp gewartet, übers Design könnte man streiten, auch sind sie verhältnismäßig schwer, aber es ist immer ausreichend Luft in den Reifen, die Bremsen funktionieren, ebenso die Sieben-Gang-Schaltung. Gute Sache, aber.

Die Räder sind vollgestopft mit Hightech. Und Hightech ist störungsanfällig, konkret: Die Ausleihe passiert an Terminals mit Touchscreen. Und ein Touchsceen, der einen Winter über der Hamburger Witterung ausgesetzt ist, funktioniert gerne mal nicht. Pech.
Außerdem hantiert man mit Unmengen von Zahlen. Man hat eine Kundennummer, außerdem gibt es eine Notfall-Telefonnummer. Leiht man ein Rad aus, muss man sich am Terminal mit der EC-Karte identifizieren, dann nennt man die vierstellige Nummer des gewünschten Rads und erhält einen vierstelligen Entsperrungscode. Den man auf einem weiteren Touchscreen am Rad eintippt. Gibt man das Rad zurück, erhält man am Fahrrad-Screen einen vierstelligen Rückgabecode, am Terminal-Screen gibt man darauf 1.) die vierstellige Fahrradnummer ein und 2.) besagten vierstelligen Rückgabecode. Gibt es bei diesen Schritten nun irgendwelche Probleme, dann kann man die Notfallnummer anrufen. Der nennt man seine neunstellige Kundennummer, die dreistellige Nummer des Terminals, an dem man gerade steht, die vierstelige Nummer des Rads, um das es geht, und den vierstelligen Entsperrungs- beziehungsweise Rückgabecode. Und jetzt alle von vorn.
Auerdem verbreitet man als Stadtrad-Nutzer Daten. Personalisierte Daten, die auch noch mit recht genauen Bewegungsprofilen einher gehen. Stadtrad Hamburg wird als Kooperation von Stadt Hamburg und der Bahn betrieben - und dass letzteres Unternehmen nicht unbedingt ein mustergültiger Datenschützer ist, dürfte bekannt sein. Das kann durchaus zum Problem werden.
Und nicht zuletzt: Das System baut darauf, dass an allen Terminals immer sowohl ausreichend Räder zur Verfügung stehen als auch ausreichend freie Plätze für rückgabewillige Nutzer. Wer dringend auf einen Termin muss und dann vor einer leeren Ausleihstation steht, wird sich ärgern, genauso wie jemand, der kurz vor Ablauf der kostenfreien halben Stunde das Rad zurückgeben möchte und keinen Platz findet, an dem er sich anschließen kann. Ein Beispiel: In diesem Augenblick finden sich am Terminal "Bahnhof Altona Ost" drei Räder, an "Bahnhof Altona West" eines und an "Ottenser Marktplatz" zwei. Damit wäre Ottensen abgegrast. Und wo sind die ganzen Räder? Die verstopfen wahrscheinlich gerade die Terminals in St. Pauli.

Und doch: Ich bin begeistert. Frühling! Freiheit! Endlich nicht mehr die stinkende S-Bahn! Wenigstens für die nächsten Tage ...

Trackback URL:
https://bandschublade.twoday.net/stories/6254712/modTrackback

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

Aktuelle Beiträge

Nein, Liebste, das hat...
Manchmal, in langen Beziehungen, springt man zur Seite,...
zahnwart - 20. Jun, 17:37
Richtersprüche
Daniel Richter zieht um. Nun gut, es ist noch keine...
zahnwart - 19. Jun, 15:52
Bedways
Okay, Filme über Sex, das ist so eine Sache. Weil...
zahnwart - 14. Jun, 12:50
Wir Nazienkel
Politische Psychologie ist eine eigenartige Disziplin....
zahnwart - 11. Jun, 13:36
Eine kleine Geschichte...
Als dann klar war, dass Lena Meyer-Landrut den Eurovision...
zahnwart - 3. Jun, 21:30

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 5609 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 20. Jun, 17:37

Credits