PJ Harvey

Zwei konzertunerfahrene Jungs fahren durch die Nacht. Erst mit dem Regionalzug, dann mit der S-Bahn, in der Frankfurter Batschkapp spielt Polly Jean Harvey. Wird teuer, ist egal, sagt der eine, PJ Harvey, das wird ganz großartig, das ist sexy und düster und hart. Ganz großartig.
Das ist ausverkauft.
Wie konnte man denn ahnen, dass dieses Konzert ausverkauft ist? PJ Harvey, wer sollte die denn kennen, das war doch Spezialistenmusik, das war doch dunkler Gruftkam, unversöhnlich, rauh. Gut, es war 1995, vor kurzem war "To bring you my love" erschienen, inklusive des Beinahe-Hits "Down by the water", aber trotzdem: ausverkauft? Ein Blick in den Nightliner vor der Halle, eine rabenartige Gestalt blinzelt zurück, wir haben PJ Harvey gesehen, Hurra! Im Vorprogramm spielte übrigens Tricky, von dem ich damals noch nichts gehört hatte, den ich aber wenige Wochen später von Herzen verehrte, auch verpasst, ach. Zwei konzertunerfahrene Jungs fahren zurück, durch die Nacht, erst mit der S-Bahn, dann mit dem Regionalzug. Später trinken sie zuviel Wodka.

Polly Jean Harvey blieb mir. Vom indiekonventionellen Debütalbum "Dry" (1992), das ich mir auf Grund einer Kurzrezension im Stern gekauft hatte (ein Argument für guten Kulturjournalismus!) über rumpeligen LoFi-Rock ("Rid of me", 1993), Gruftglamour ("To bring you my love", 1995), Düster-Elektro ("Is this desire?", 1998), Rockrockrock ("Stories from the city, stories from the sea", 2000) und Blues ("Uh huh her", 2004) bis zu den Pianoballaden von "White chalk" (2007) vollzog sie jede Wendung meines musikalischen Geschmacks ein wenig vor mir, so dass ich mir jede neue Platte erst schmerzhaft zurechthören musste. Was blieb: ein tiefes Misstrauen gegenüber fest gefügten Formen. Eine Freude an der De(kon)struktion. Eine Leidenschaft, die viel mit persönlichem Leiden zu tun hat.

Perfektes Beispiel für diese festen Größen im Werk von PJ Harvey ist The Letter aus dem kalt zersplitterten Bluesalbum "Uh huh her" (2004), ein Album, das übrigens mit einem ganz unangenehmen Kopierschutz versehen ist, weswegen ich es nicht auf meinen MP3-Player bekomme und entsprechend stiefmütterlich behandle. Hat die Platte nicht verdient.

Trackback URL:
https://bandschublade.twoday.net/stories/pj-harvey/modTrackback

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

Aktuelle Beiträge

Nein, Liebste, das hat...
Manchmal, in langen Beziehungen, springt man zur Seite,...
zahnwart - 20. Jun, 17:37
Richtersprüche
Daniel Richter zieht um. Nun gut, es ist noch keine...
zahnwart - 19. Jun, 15:52
Bedways
Okay, Filme über Sex, das ist so eine Sache. Weil...
zahnwart - 14. Jun, 12:50
Wir Nazienkel
Politische Psychologie ist eine eigenartige Disziplin....
zahnwart - 11. Jun, 13:36
Eine kleine Geschichte...
Als dann klar war, dass Lena Meyer-Landrut den Eurovision...
zahnwart - 3. Jun, 21:30

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 5637 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 20. Jun, 17:37

Credits