Sisters of Mercy

Die Sisters of Mercy machten alles richtig. Eine stilbildende Waverock-Platte veröffentlicht ("First and last and always", 1985), vor meiner Zeit und so immer als dunkler Stern am Himmel, ach, hätte man das doch schon erleben dürfen. Ein schwer verfettetes Progrock-Werk ("Floodland", 1987) mitten in einer für meine musikalische Geschmacksausbildung wichtigen Zeit. Und damit sogar in den Charts gelandet. Eine sägende Darkmetal-CD ("Vision thing", 1991), nicht wirklich zugänglich in ihrer Aggression und damit der Beweis: Wir haben es hier mit Verweigerern zu tun. Und dann einfach verschwinden. Nichts mehr veröffentlichen, zwei Best-of-CDs noch, Remixe, immer wieder einzelne Songs online gestellt, in zweifelhafter Soundqualität, bei denen man nicht wusste, ob sie wirklich neu waren oder doch nur Abfallprodukte aus den Frühneunzigern. Nichts mehr machen.

Die Sisters waren grauenvoll, all das, was man am nicht gerade schreckensarmen Darkwave hassen mochte. Sie waren unglaublich prätentiös. Sie nahmen sich viel zu wichtig. Sie hatten keine Umgangsformen. Ohnehin waren sie immer nur der größenwahnsinnige Sänger Andrew Eldritch, zwei, drei ständig ausgetauschte Gastmusiker und eine Drummachine namens (Achtung, Witz!) "Doctor Avalanche". Sie waren politisch problematisch. Ja, die Ästhetik hatte einen gewissen Rechtsdrall: die Inszenierung Eldritchs als Führerpersönlichkeit, die maschinenartige Kälte, die für eine britische Band eigenartige Bezugnahme auf Deutschland ("I'm looking for the can in the candystore/2000 Hamburg 4" aus "Vision thing", 1991. "There's a lighthouse in the middle of prussia/a white house in a red square/I'm living in films for the sake of russia/a kino runner for the DDR" aus "Mother Russia", 1988 ... oder war das schon Satire?). Ungefähr wie Bowie zu seiner Berliner Zeit.

Aber irgendwie sind die Sisters auch ein großer Spaß. Mal ehrlich: Kann man das ernst nehmen? Dieses exaltierte Gesinge, die Sonnenbrillen, das Raunen? Immer wieder tauchen die Sisters auf Wave-Festivals auf, uninspiriert spielen da ein paar Mietmusiker einen stumpfen Rockstiefel runter, eine Gestalt, die vielleicht Andrew Eldritch sein könnte, singt, vielleicht, man weiß es nicht - er ist kaum zu erkennen, im Bühnennebel. "Wenn der Regisseur nicht weiter weiß/vertraut er gern aufs Trockeneis" heißt ein geflügeltes Wort im Theater. "Meanwhile in the Sheraton/Doctor Jeep plays on and on" ("Doctor Jeep", 1991). Nichts mehr machen, sich keine Mühe mehr geben, verschwinden.

Kann man darüber lachen? Man kann, kurz vorm irre werden. Wie in Lucretia, my reflection aus dem, muss ich zugeben, wunderbaren Sisters of Mercy-Album "Floodland" (1988).

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Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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