Was Julia Stoschek sieht

stoschek
Ein Blick in die Ausstellung Julia Stoschek Collection" in den Hamburger Deichtorhallen, Foto: Henning Rogge

Sammler sind gute Menschen, doch. Kunst zu kaufen, das sei doch wohl das Ungefährlichste, was reiche Menschen mit ihrem Geld anfangen könnten, sagte Daniel Richter einmal sinngemäß, und wenn man das vergleicht mit der finanziellen Unterstützung der FDP und ähnlicher obskurer Organisationen, dann hat Richter (der ja persönlich durchaus ein gewisses Interesse daran hat, dass Leute seine Bilder kaufen) natürlich recht. Und zudem ist es ist schön, dass die meisten Sammler uns Pöbel an ihren Käufen teilhaben lassen, Brandhorst in München, Weishaupt in Ulm, Falckenberg in Hamburg. Da sagen wir Dankeschön. Und werfen nicht etwa in den Raum, dass ein Kunstwerk in der Regel massiv an Wert gewinnt, wenn es gezeigt wird, es also für den Sammler ein schönes Geschäft darstellt, seine Sammlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Womöglich auch noch mit Geld der öffentlichen Hand.

Nein, das tun wir nicht. Wir gehen ins Museum. Und freuen uns.

Die Hamburger Deichtorhallen zeigen die Medienkunstsammlung von Julia Stoschek. Julia Stoschek ist 34 Jahre alt, studierte Betriebswirtin, Gesellschafterin der Brose Fahrzeugteile GmbH, Lebensgefährtin des Starfotografen Andreas Gursky und laut Wikipedia bayerische Juniorenmeisterin im Dressurreiten. Außerdem scheint sie durchaus von der eigenen Großartigkeit überzeugt, die Hamburger Ausstellung auf jeden Fall wirbt nicht etwa mit dem Namen eines Künstlers oder mit einer These, sondern mit dem knalligen "Julia Stoschek Collection". Die Künstler sind nicht wichtig, wichtig ist die Sammlerin, das sagt dieser Titel. Zwar wird dann noch schamhaft ein Pipilotti-Rist-Titel nachgereicht, der aber lautet "I want to see how you see" und gemahnt eigentlich eher daran, dass wir hier Stoscheks Blick nachahmen sollen. Wir wollen sehen, was Julia Stoschek sieht.

Was aber sieht Julia Stoschek? Sie sieht Großartiges. Hauptsächlich Videos, von Marina Abramovic, von Isaac Julien, von Carolee Schneemann. Ganz klein eine hübsche Landschaftsaufnahme von Stoscheks Lebensgefährten, etwas größer dann noch ein Foto der Sammlerin selbst, vor den Deichtorhallen auch nochmal ein riesiges Plakat mit einer hyperstylten Stoschek, naja, sie sieht sich halt gern. Hat eigentlich auch nichts mit der Ausstellung zu tun, um ehrlich zu sein.
Die Ausstellung ist, wie gesagt, klasse. Unterhaltsam, schockierend, hoch politisch lotet sie die Möglichkeiten der riesigen Halle aus, manchmal besetzt sie ein wenig zu eindeutig populistische Positionen, ganz selten wirkt sie auf dem Niveau der Siebziger-Gender-Debatten stecken geblieben, aber das sind Lässlichkeiten. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass hier eine Ausstellung auf der Grenze zwischen Pop und Politik über weite Strecken funktioniert - Welten zu Pop Life, einer inhaltlich ganz ähnlich gelagerten Ausstellung, die vor kurzem an der benachbarten Kunsthalle mit Haut und Haaren scheiterte.

Und dann eben noch: der Kunstvorbehalt. Der ist toll, also: mit der Mutter ins Museum gehen und sich da unsimulated sexual intercourse anzugucken, ohne rot zu werden (das Video zu "Fucked" von Alex McQuilkin allerdings ist weniger erregend als verstörend, daher besser nicht unvorbereitet klicken). Außerdem: Habe ich schon jemals gemeinsam mit meiner Mutter ein Musikvideo geschaut? Und sei es das hübsch kunstige "Wanderlust" von Björk?

Wanderlust from yoichi on Vimeo.

P.S. Ich verweise auf ein kurzes Interview, das ich für die April-Ausgabe des uMag mit Julia Stoschek geführt habe.

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Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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