Foto: Aino Laberenz
Christoph Schlingensief ist, auf jeden Fall, ein Guter. Ein Kunstkopf, einer, der begeistert ist von ästhetischen Mechanismen, ein sprühender Geist, den man nicht anhalten kann, nicht einzwängen, nicht formieren. Der sich, während er heißläuft, immer wieder selbst in Frage stellt, immer wieder von neuem. Der ist ein Guter.
Ein Guter, der ganz tief drin steckt im europäischen Theaterestablishment, das allerdings auch. Auf
Kampnagel war die Deutsche Erstaufführung seines Projekts "Via Intolleranza II", Uraufführung war kurz davor beim
Kunstenfestivaldesarts in Brüssel, demnächst gibt es noch Aufführungen in der
Bayerischen Staatsoper München und bei den
Wiener Festwochen, Dramaturg der Produktion ist Helene Hegemanns Vater
Carl, Kostümbildnerin Schlingensief-Gattin Aino Laberenz. Das ist kein Problem, nur: dass Schlingensief seine Verknüpfung in diese Strukturen nicht problematisiert, wo er doch sonst alles problematisiert, das fällt schon auf.
Aber egal, wir sprechen über das konkrete Kunstwerk, wir sprechen über "Via Intolleranza II", ein Projekt nach Luigi Nonos Oper "Intolleranza 1960". Bei Nono geht es um die Desillusionierung eines (eigentlich unfreiwillig) revolutionären Bergarbeiters, bei Schlingensief geht es um die Desillusionierung einer (nicht unsympathisch) weltverbessernden Kulturbetriebsnudel. Nämlich so: Seit 2009 werkelt Schlingensief an seinem Projekt "
Festspielhaus Afrika" in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, einer Mischung aus Wagnerianischer Kunstideenarchitektur und konkreter Entwicklungshilfe, die nach Fertigstellung ein Opernhaus, Kunstschulen und Wohnungen beinhalten soll. "Via Intolleranza II" ist eine Art Manifestation dieser Festspielhaus-Afrika-Idee, produziert mit einheimischen Künstlern in Ouagadougou, die streckenweise autonom agieren, mal rappen, mal tanzen, mal offensiv nach einer Frau suchen. Das wäre ganz in Ordnung, allerdings wäre es auch öde und würde einen rein gar nicht weiter bringen.
Gut aber, dass Schlingensief einer ist, der nicht still sitzen kann. Vor allem: Gut, dass Schlingensief einer ist, der es nicht aushält, dass da Afrikaner auf der Bühne stehen und Sachen machen, die nicht ausschließlich von ihm handeln, von Schlingensief. Also greift er ins Stück ein, also handelt das Stück plötzlich davon, dass Schlingensief bezweifelt, dass sein Engagement in Burkina Faso wirklich das richtige ist. Und wo wir schonmal dabei sind, dreht er diese Zweifelsschraube noch eine Stufe weiter, es geht nicht mehr um Schlingensief, es geht um uns europäische Zuschauer, die Interesse an einem Kontinent heucheln, der uns doch eigentlich am Arsch vorbei geht. Aber, halt, natürlich geht es nicht um uns, es geht um Schlingensief, "Ich, ich, ich!" ruft er und erzählt von seiner Chemotherapie, die mit Ouagadougou nun wirklich rein gar nichts zu tun hat. Ein großartiger Wirrwarr.
Am Ende zieht sich der Künstler zurück aus Afrika. Geld sollen wir schicken, nach Ouagadougou, aber wir sollen dort nichts machen, wir sollen sie in Ruhe am Operndorf arbeiten lassen. Das leuchtet ein, ein ganz einfaches Scheitern, der gute Wille ist am Ende, da ist Schlingensiefs Künstlerfigur ganz nahe an Luigi Nonos Bergarbeiter. Wir werden noch beschimpft, angeschnorrt, dass wir ans Operndorf spenden sollen, dann entlässt uns diese wilde, wirre High-Society-Veranstaltung in die Nacht. Toll.
Aber: eben auch sinnlos. Weil das Thema, Afrika, in dieser Assoziationshölle hoffnungslos zerschreddert worden ist, bleibt nur noch eines im Vordergrund: das persönliche Schicksal des Christoph Schlingensief, problembehaftet, belastet, beschwert. Ich, ich, ich: Womöglich hat er recht, womöglich ist das wirklich das einzige, was man wirklich sagen kann.
Und dann wäre "Via Intolleranza II" natürlich eine entsetzlich nachvollziehbare Bankrotterklärung des Theaters.