Wohnfront

Was ich ganz schön finde: Meine Biografie an Hand meiner unterschiedlichen Wohnungen nachzuvollziehen. Leider ohne Fotos, von den meisten Wohnungen gibt es keine.

1. Thalfingen
1.1. Eichenstraße, 1972
Keine wirkliche Erinnerung. Hey, ich war frisch geschlüpft. Aber: Kurzzeitig lebte ich in Bayern, immerhin. Das damals unabhängige Thalfingen, soviel nur nebenbei, ist mittlerweile integriert in die Gemeinde Elchingen, Kreis Neu-Ulm.

2. Ulm
2.1. Eugen-Bolz-Straße, 1972-81
Kindheit. Eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem zweistöckigen Häuschen. Erdgeschoss, am Hang, über uns die Vermieterin. Eigentlich schöne Erinnerungen. Zu klein geworden, nachdem meine Schwester auf die Welt kam.

2.2. Bei der Pilzbuche, 1981-92
Außerdem wollten meine Eltern wohl was eigenes. Wir blieben im Viertel (Ulm-Böfingen, ein sozial extrem heterogener Stadtteil, der sich im Gegensatz zur Ulmer Innenstadt auf der Albhochfläche befindet), zogen aber ein paar Kilometer hangaufwärts ins Neubaugebiet. Platz, eigenes Zimmer, großer Garten. Ganz schön, eigentlich. Fand ich als Pubertierender natürlich grauenhaft. Was wirklich nicht so toll war: Fast eine Dreiveirtelstunde mit dem Bus in die Innenstadt zur Schule zu fahren. Und überhaupt: dorthin, wo was los war.

3. Tübingen
3.1. Nikolaus-Lenau-Straße, 1992-93
Erste eigene Wohnung. Beziehungsweise: erstes eigenes Zimmer. Unterm Dach im Neubau eines jungen Paares, er Zeitsoldat, sie Hausfrau. Im Nebenzimmer: ein älterer BWL-Student, mit dem ich kaum ein Wort wechselte, der sich allerdings bei den Vermietern über meinen Lärm beschwerte. Schon wieder Neubaugebiet, schon wieder Vorort (Tübingen-Hirschau), schon wieder eine Dreiviertelstunde in die Innenstadt (zuzüglich ging es von der Innenstadt auch noch auf den Berg, in die naturwissenschaftlichen Institute der Morgenstelle, wo ich kurzzeitig studierte). Außerdem musste ich am Wochenende nach Hause fahren, damit die Vermieterin mein Zimmer putzen konnte. Mit anderen Worten: die Hölle. Für mich das Paradies auf Erden.

4. Gießen
4.1. Eichendorffring, 1993-95
Studentenwohnheim. Neun Quadratmeter, eine (recht geräumige) Küche, zwei Duschen und zwei Toiletten für zwölf Mitbewohner. Und was für Mitbewohner: Spießer, Jungunionisten, Wochenendheimfahrer. Am Stadtrand Gießens, in direkter Nachbarschaft zum Autobahnring. Das klingt jetzt schlimmer als es eigentlich war. Was allerdings wirklich stimmt: Es hätte viel, viel besser sein können.

4.2. Roonstraße, 1995-98
Besser war es dann hier: Gießen-Downtown, Hochparterre, 16 Quadratmeter, Dusche (mit kaum zuverlässigem Boiler) und Kochgelegenheit im Zimmer, Toilette im Treppenhaus. Das (lebensgefährliche) Hochbett sorgte dafür, dass man eine ganze Menge Platz hatte. Immerhin: Ich hatte eine Sofaecke! Und einen Schreibtisch! Schade allerdings, dass der Vermieter es toll fand, auf die wunderschön abgeschliffenen Dielen einen Teppichboden zu legen.

5. Berlin
5.1. Willibald-Alexis-Straße, 1998-99
Die erste (und einzig echte) WG! Mit einem Punk! In Kreuzberg! Kohleofen! Zwei Zimmer, 40 Quadratmeter, ehemals besetzter, denkmalgeschützter Altbau mit reichlich Renovierungsstau, 5. Stock. Es war großartig, wenn auch die Dusche mit nicht funktionierendem Durchlauferhitzer sehr gewöhnungsbedürtfig war. Trotzdem: Jederzeit würde ich das wieder machen.

4. Gießen
4.3. Kirchenplatz, 1999-2001
Zurück nach Gießen. Zum ersten Mal mit der Liebsten zusammengezogen, noch zentraler ins Zentrum, in eines der wenigen mittelalterlichen Häuser dieser nach dem Krieg entsetzlich verschandelten Stadt. Gedacht war das noch als eine Art WG, sie hatte ihr Zimmer, ich meines, außerdem hatte sie ein Arbeitszimmer, und in der geräumigen Küche konnten wir uns gut aufhalten. Eigentlich hatte ich vor, hier meine Doktorarbeit zu schreiben, stattdessen nahm ich einen Job als Lokaljournalist an, im Taunus, 40 Kilometer entfernt. Was hieß: Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben ein Auto. Bei einer Wohnung in der Fußgängerzone ist das subotimal. Tolle Wohnung, trotz allem.

6. Hamburg
6.1. Scheel-Plessen-Straße, 2001
Die Horrorwohnung. Ich ging nach Hamburg, um ein Volontariat zu machen, die Liebste blieb in Gießen, und nachdem ich länger nichts fand, zog ich bei einer jungen Frau in einen Altbau direkt am Bahnhof Altona ein. Mein Zimmer hatte knapp acht Quadratmeter (für die ich immerhin die halbe Wohnungsmiete abdrücken durfte), ab April stand die Luft, nachts prügelten sich die Alkis vor der Absturzkneipe im Erdgeschoss, vom gegenüberliegenden Bahnsteig tönte alle zwei Stunden die Ansage „Auf Gleis drei fährt jetzt ab: Interregio 1564 nach Karlsruhe über Hannover, Kassel, Gießen ...“, und mein fernbeziehungsmäßig verliebtes Herz begann, zu bluten. Zudem hatte meine Mitbewohnerin zwei kleine Kinder, die zwar die meiste Zeit beim Vater verbrachten, einem, wenn sie aber da waren, das Leben zur Hölle machten. Und auch wenn sie nicht da waren, versiffte die Miniwohnung zusehends. Drei Monate hielt ich es aus.

6.2. Friesenweg, 2001-2004
Eine Wohnung der Wohnungsbaugesellschaft. Was bedeutet: Anonymität! Keine nervenden Vermieter! Schön! Gut, die Wohnung war klein, aber sie war meins. Gut, die Gegend war ein öde Brache zwischen Industrie- und Neubaugebiet, aber egal. Ich wohnte hier gerne, in einem kleineren Wohnblock mit Tendenz zur Gettoisierung – nachdem ich ausgezogen war, ging es mit der Gegend anscheinend immer weiter bergab. Zur Lage: Der Friesenweg bildet die Grenze zwischen den Vierteln Ottensen (cool) und Bahrenfeld (öde), meine Wohnung lag noch auf ottenser Seite. Was Kollege J. zur Feststellung verleitete: „Hipnessfaktor von Bahrenfeld, Preisniveau von Ottensen.“ Blödsinn: Die Wohnung war spottbillig.

6.3. Woyrschweg, 2004-2006
Endlich Platz! Eine Zweizimmerwohnung ganz für mich alleine, dazu eine riesige Wohnküche! In einem wunderschönen Altbau! Mit Blick auf einen kleinen Park! Natürlich hatte der Woyrschweg auch seine Macken – und ich meine damit nicht den unaussprechlichen Straßennamen. Sondern die Nachtspeicheröfen, die die Wohnung kaum warm bekamen. Und die Tatsache, dass ich nun endgültig in Bahrenfeld wohnte, also auf der Uncoolnessskala einen guten Schritt nach vorn gemacht hatte. Und weil ich hier den negativen Aspekt des (ansonsten nur zu empfehlenden) genossenschaftlichen Wohnens zu spüren bekam: den Hang zur Verspießerung bei der Hausgemeinschaft. Wenigstens die Nachtspeicheröfen kamen nach einem Jahr raus und wurden durch ganz großartige Fernwärme ersetzt, was die Wohnung zwar ein Stück teurer machte, dennoch ein großer Fortschritt war. Allerdings zog ich kurz darauf aus.

6.4. Bahrenfelder Chaussee, 2006-2009
Die Liebste zog endlich aus Gießen nach Hamburg, und für zwei Menschen (und vor allem: für zwei Haushalte) war es im Woyrschweg doch ein wenig eng. Nachdem wir lange (und zunehmend verzweifelt) gesucht hatten, bot uns die Wohnungsbaugenossenschaft endlich eine Wohnung an: um die Ecke (also weiter uncool), allerdings direkt an einer vierspurigen Straße. Die Hausgemeinschaft war auch ein wenig anders: Lebten im Woyrschweg Spießer, so lebten an der Bahrenfelder Chaussee Prollspießer, missgünstige, laute, aggressive Blockwarte. Ich habe noch nie Menschen erlebt, die solch eine Unfreundlichkeit und Überheblichkeit an den Tag legten, wie die Bewohner dieses unförmigen, riesigen Rotklinkerblocks. Die Wohnung selbst war klasse: riesig, ordentlich in Schuss, schön geschnitten. Wäre nicht die Straße. Und wären nicht die Mitbewohner.

6.5. Martin-Luther-Straße, seit 2009
Ganz was anderes. Ein Altbau in der Hamburger Neustadt, mit Balkon, zu Fuß drei Minuten zur Elbe, gegenüber des Michels. Schöner als man es sich vorzustellen wagt. Natürlich auch nicht ohne Wermutstropfen: Die Wohnung ist kleiner als in der Bahrenfelder Chaussee. Und in Schuss gehalten ist sie auch nicht so richtig. Egal. Erstmal kann das hier bleiben.

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Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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