Real life, omg

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Dumme Fische

Wenn Daniel Kehlmann Luft holt, um eine Rede zu halten, dann kriege ich ein wenig Angst. Zum ersten Mal spürte ich diese Angst bei seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele: als der Erfolgsschriftsteller gegen das Regietheater wetterte, ohne auch nur vom Hauch einer Ahnung angekränkelt zu sein. Und jetzt spüre ich diese Angst, wenn ich lese, was Kehlmann auf der Frankfurter Buchmesse sagte. Das Internet sei doof, Bücher toll, Wikipedia gebe nichts her. Und vor allem seien Theorien wie die von der Schwarmintelligenz Blödsinn, weil: „Ein Schwarm ist immer nur so klug wie der dümmste Fisch.“

Der dümmste Fisch.

Davor haben zurzeit viele Angst: Dass der dümmste Fisch sie in ihrem Streben nach vorn zurück hält. Die Mitglieder der unsäglichen Hamburger Bürgerinitiative „Wir wollen lernen“, Oberschichtsvertreter, die fürchten, dass ihre Sprösslinge gemeinsam mit Migranten, Prekären, Unterschichtlern ein Klassenzimmer teilen, sollte die Hamburger Schulreform tatsächlich wie von der Landesregierung gewünscht die frühe Aufteilung in Gymnasium, Real- und Hauptschule abschaffen. Der ehemalige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin, der mosert, dass die Unterschicht über kurz oder lang die Oberschicht verdängen würde, weil die Unterschicht sich zwar weigern würde, etwas zu leisten, dafür aber ein Kind nach dem anderen in die Welt werfe. Überall: dumme Fische. Die die klugen Fische bremsen.
Was Sarrazin, Kehlmann und die Hamburger Großbürger nicht bedenken: Womöglich sind sie selbst ja dumme Fische? Womöglich funktioniert Wissensgenerierung nach einem ähnlichen Prinzip wie technischer Fortschritt? Dann wäre der Buchdruck jahrhundertelang das richtige Prinzip zur Archivierung von Wissen gewesen, heute wäre er aber überholt. Und dann wäre die Idee, dass Wissen in einem elitären Zirkel weitergereicht wird, jahrhundertelang schon in Ordnung gewesen, wer sich heute aber noch auf diese Idee beruft, hängt einem überholten Ideal nach, schlimmer noch: Er behindert die Weiterreichung von Wissen im 21. Jahrhundert.
Im übrigen dürfte jeder Biologe die Aussage, dass der Schwarm sich nach dem dümmsten Fisch richtet, verneinen: Ein Schwarm bildet eine eigene Form von Intelligenz aus, in der dumme und kluge Fische eine Einheit bilden. Der kluge Fisch, der sich vom Schwarm entfernt, weil er lieber voraus schwimmen möchte, ist eigentlich schön blöd: Bald wird er gefressen. Die Herrschaft des klugen Fischs ist elitäres Denken, das ein böses Ende nehmen wird, die Herrschaft des Schwarms ist diskursives Denken, der Glaube an eine eigene Qualität von Widersprüchen.

Man kann aus diesem Glauben an Widersprüche politische Kraft schöpfen, Kommander Kaufmann versucht so etwas mit ihrer Theorie des Slacktivism. Man kann aber auch an der Welt verzweifeln. Mein Brotberuf als Journalist wird so erschwert: Kulturjournalismus funktioniert in der Regel nicht diskursiv, er funktioniert dadurch, dass man eine Meinung formuliert, die als Orientierung dient. Das will der Leser auch so, er will nicht lesen: Ist das kulturelle Phänomen xy womöglich gut?, er will lesen: Das kulturelle Phänomen xy ist gut, weil. Vor einem Monat hat er genau deswegen so gewählt, wie er gewählt hat: Weil ihm die Ideologen des Neoliberalismus eingebläut haben, sie wüssten genau, wie man aus der Krise kommt. Mit Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen.

Anbei die letzte Musikkritik, die ich geschrieben habe. Zur Wiederveröffentlichung von „Pain it dark“ der 39 Clocks. Wurde nicht veröffentlicht, weil: keine richtige Wertung.

The 39 Clocks
Pain it dark
Ficken. Lärm, Asche, kaltes Land. Bleierne Zeit, Hannover, 1981. Dunkeldeutschland, Schlote, unscharfe Bilder. Gitarre, Bass, Beatbox. Stimmen. „Die beste deutsche Band der 80er“ (Diedrich Diedrichsen). Sonnenbrillen, Velvet Underground, dünne Produktion. Autobahn, Stau, Industriegebiet. Drei Platten von 1981 bis 87, dann verschwinden. Blick zum Boden, Nebel, Rückkopplung. Jetzt: Rock ’n’ Roll. Tonlos, ausdruckslos, angstlos. Angst. Ein fremdes Land, Lärm, dröhnende Stille. Singen durchs Megaphon, Orgel, Keller. New Wave, Punk, Psychedelic, Ficken. Ficken. (fis)

Sonntag, 27. September 2009

Nicht

Das ist alles hier nicht meines.
Ich gehöre hier nicht dazu,
das sind nicht meine Leute,
das ist nicht mein Land.
Nichts habe ich mit denen zu schaffen.

Freitag, 25. September 2009

Wahl watching

Der Spiegelfechter sagt, wen er wählt: Die Linke. Und er begründet das, er ist einleuchtend, klug, skeptisch, undogmatisch. Er will nicht missionieren, er erklärt nur. Gut macht er das.

Aber ich mache es nicht.

Weswegen nicht? Eine Frage, die sich so ziemlich jede Politikredaktion stellt: Sollte der Leser nicht wissen, mit wem er es zu tun hat? Verschleiert ein Medium seine Motive nicht, indem es seinen politischen Hintergrund verschweigt? In den USA schreibt jede Dorfzeitung, ob sie für Obama oder für McCain war (macht sie das wirklich? Keine Ahnung), warum sind nur wir so verklemmt?
Alles gute Argumente. Niemand sollte mit seiner politischen Meinung hinterm Berg halten. Wer mich fragt, was ich wähle, dem sage ich es. Aber. Ich sage dann noch einiges mehr. Was ich an der entsprechenden Partei nicht so toll finde. Wer mich am politischen Personal stört. Welche Partei ich unter Umständen auch wählen würde. Dass meine Wahlentscheidung seit Jahren gerade mal eine Entscheidung fürs kleinere Übel ist. Im Blog ginge das nicht (in einer Zeitung ginge so etwas übrigens genauso schwer), im Blog stünde dann "Ich wähle ABC." Punkt. Plus ein paar Erklärungen. Das will ich nicht. Das reicht mir nicht.
Bleibt das Problem der Verschleierung. Natürlich würden sich die Leser der Bild Gedanken machen, ob sie womöglich manipuliert werden, wenn auf dem Titel ganz fett "Wahlkampfbroschüre der CDU" stehen würde. Die Lesern der taz hingegen ist zuzutrauen, dass sie auch ohne eindeutige Wahlempfehlung wissen, dass sie es hier mit Rot-rot-grün-Sympathisanten zu tun haben. Und mein kleines, feines Blog ist so kuschlig und persönlich, da weiß ohnehin jeder Leser, was ich wähle.

Und wer es nicht weiß, der kann mich ja fragen.

Sonntag, 20. September 2009

Im Baumarkt

Gibt es unsexiere Orte als Baumärkte? Nutzwertorientiert, nüchtern, maskulin? In jeder Hinsicht: unkünstlerisch? Und: Ist es möglich, einen Baumarkt zu besetzen, als Kunstort neu zu denken? So: Unbekannte Künstler stürmen einen Baumarkt in Altona und verarbeiten Leisten, Schraubklemmen, Teppiche und Werkzeuge zu temporären Installationen, bis der Fillialleiter kommt und den Kram wieder abbauen lässt.
DSC01225 Und vor allem: Ist das dann politisch? Sich Räume zurückzuerobern? Ernste Frage: Wird die Kunst gerade an ihren Rändern repolitisiert? Ich habe den Eindruck, ob im Hamburger Gängeviertel Abbruchhäuser besetzt und zu Ateliers und Ausstellungsräumen umfunktioniert werden, ob ein Baumarkt zum Ort illegaler Ausstellung umfunktioniert wird, ob Angela Merkel bei ihrer Rede auf dem Gänsemarkt mittels ironischer Beifallsstürme am christdemokratischen Wahlkämpfen gehindert wird.



Bestimmte Punkte sind festzuhalten: Erstens geht es bei solchen Aktionen nicht um bestimte Genrezuordnungen, die Merkel-Störungen bewegen sich im Rahmen performativer Kunst, der Baumarkt wird temporärer Ort traditioneller Installationen (auch wenn das Auf- und Abbauen der Arbeiten fast stärker im Fokus steht als die Arbeiten selbst), und die Besetzung des Gängeviertels lenkt den Blick auf Kunstproduktion. Zweitens: Künstlerische Qualität ist bei der Betrachtung eher zweitrangig. Und drittens: Der Protest bezieht sich in erster Linie auf die eigenen Lebensumstände. Die politisch protestierenden Künstler wollen zunächst ihre eigene Situation verbessern, sie wollen bezahlbare Ateliers, sie wollen Ausstellungsmöglichkeiten.
DSC01222 Sympathisch ist der Protest dennoch. Weil er kreativ ist, weil die jubelnden Massen bei Merkel eben etwas anderes sind als bloße Störer im Wahlkampfeinerlei, weil sie Fragen nach Zustimmung, nach performativen Normen stellen. Und: Auf den ersten Blick mögen die Aktion selbstbezogen, eigennützig erscheinen, in Wahrheit führen sie aber weiter. Denn eine Gesellschaft, die keine Räume für Kunst bereitstellt, das ist auch eine Gesellschaft, die alle übrigen randständigen Elemente aus dem Fokus drängt. Wer keinen Platz für Kunst hat, der hat auch keinen Platz für Behinderte, Migranten, Faule, Kinder - nur mal als ein paar Beispiele. Wo Künstler beginnen, sich solche Räume rückzuerobern, da folgen andere nach.

Dienstag, 15. September 2009

Unter Schafen

Am Nachmittag war noch alles schön. Am Nachmittag saßen wir bei Herrn Max, tranken Kaffee, aßen Johannisbeer-Mangomousse-Torte, und irgendwann entdeckte die schöne Frau Petits Fours in Form von Pflastersteinen. Das fanden wir lustig, ein DJ legte Dubstep auf, das Wetter war schön. Schanzenfest.
Natürlich blieben wir nicht im Schanzenviertel, natürlich waren wir längst weg, als es losging. Also, aus zweiter, dritter, vierter Hand: Nach Mitternacht versuchten Randalierer, eine nahe Polizeiwache zu stürmen, worauf die Beamten mit voller Härte zurückschlugen und das Fest auflösten. Was man ihnen nicht einmal verdenken konnte. Konsens scheint zu sein, dass die Angreifer nur wenig mit dem subversiven Hintergrund des Festes am Hut hatten, eher, wie es im Polizeijargon heißt, "erlebnisorientierte Jugendliche" aus den Vororten gewesen seien. Nachvollziehbar, dass die Organisatoren des Schanzenfestes, die Bewohner des Viertels und die Politaktivisten böse sind, dass die Krawalle der Polizei einen willkommenen Grund gaben, zuzuschlagen.

Dieses Gefühl ist, wie gesagt, nachvollziehbar, aber ist es richtig? Eigentlich wollen die Stadt Hamburg und die Polizei als ausführendes Organ ja genau das: den Protest spalten. Plötzlich gibt es einen guten Protest (feiert Feste) und einen bösen Protest (ist gewalttätig). Und, schwupp!, ist die Einigkeit flöten, ist man angreifbar. Denn, man braucht sich nichts vorzumachen: Den Mächtigen ist jeder Protest zuwider, die alternativen Lebensformen in der Schanze hätten sie gerne längst den Garaus gemacht. Wir brauchen nicht zu glauben, dass dieser "gute" Protest es noch lange macht, wenn die "Bösen" erstmal platt gemacht sind. Und platt gemacht werden sie, da besteht kein Zweifel. In der momentanen Situation sind die Autonomen des Schanzenviertels plötzlich in der Position, dass sie sich von der Polizei einen Persilschein ausstellen lassen: Sie sind die Guten, sie haben nichts gemacht. Wie Schafe, die hoffen, vom Wolf verschont zu werden, weil sie doch eigentlich immer brav waren.

Ich will damit nicht behaupten, dass Pinneberger Schwachköpfe so einfach auf unseren Festen auftauchen und sich dort daneben benehmen dürfen. Wie man sie fernhalten sollte? Keine Ahnung. Das muss diskutiert werden - aber vielleicht nicht unbedingt öffentlich. Denn dann diskutieren über kurz oder lang nicht mehr die, die es angeht, sondern die Medien des Gegners.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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Zuletzt aktualisiert: 20. Jun, 17:37

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