Häuser, Straßen

Sonntag, 11. April 2010

Offene Räume

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Leipzig wäre wohl ganz schön, wäre es nicht so unglaublich deutsch. In westdeutschen Großstädten prägt Migration unübersehbar den urbanen Raum, in Leipzig ist das nicht so; muss man sich erstmal dran gewöhnen, und ich glaube nicht, dass mir diese Gewöhnung gefallen würde. Aber ansonsten wäre Leipzig wohl ganz schön, doch.
Das Leipziger Zentrum wird von einem Innenstadtring umfasst, mehrspurige Straßenzüge, Tramlinien, man kennt das von vielen vergleichbar großen Städten, Frankfurt, Dortmund. Innerhalb dieses Rings wirkt die Stadt extrem aufgehübscht, restaurierte Jugendtilfassaden, breite Shoppingzonen, repräsentative Gebäude, die Universität mit dem City-Hochhaus. Genutzt wird dieser Teil der Stadt alledings weitgehend vom bundesrepublikanischen Fußgängerzonendurchschnit, Tchibo, Karstadt, Juwelier Wempe, you name it. Dazu kommen hilflose Versuche, eine urbane Renaissance des Bürgertums herbeizuzitieren, ein Phänomen, das man auch in anderen ostdeutschen Großstädten beobachten kann, im immer mehr zum Berliner Villenvorort mutierenden Potsdam, in Uwe Tellkamps Dresden.

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Und mittendrin die Nikolaikirche. Denkmal der Möchtegern-Revolution, Aufstand gegen den DDR-Muff bei gleichzeitigem Ranwanzen an ausgerechnet die ultramuffige Kirche, habt ihr toll gemacht, Leipziger, 1989. Und uns nebenbei noch zwei weitere Legislaturperioden des korrupten Kohl-Regimes verschafft, Danke auch dafür!

Durch Leipzig zu laufen, frustriert mich.

Wenn man aber den Innenstadtring hinter sich gelassen hat, dann findet man sie noch: Brachflächen, Ruinen, Undefiniertes. Offene Räume. Dann steht man plötzlich vor Orten wie dem Ring-Messehaus, dem Bayrischen Hof, dem Hotel Astoria.

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Da hat Leipzig plötzlich wieder etwas von Berlin-Mitte, bevor die Modelabels kamen, die Schickis und die Cocktailbars. Beziehungsweise: Bevor die Cocktailbars durch die Systemgastronomie abgelöst wurden. Wohlgemerkt: Wir sind hier nicht in Vororten, wir sind gerade mal ein paar Schritte von der Innenstadt entfernt, in direkter Nachbarschaft zum unglaublich luxuriösen, unglaublich überdimensionierten Hauptbahnhof.
Das macht Leipzig wirklich interessant: dass man die offenen Räume ganz deutlich vor Augen hat. Und dass man gleichzeitig weiß, dass diese Räume bedroht sind, dass sie ein störendes Element der Stadtarchitektur in der unmittelbaren Umgebung sind. Man kann sich hier nicht ausruhen in der kaputten Kuschligkeit des Andersseins, weil weite Teile der Innenstadt schon billig aufgehübscht sind. Das war wohl der Fehler in Berlin-Mitte: Man dachte, das ginge immer so weiter mit den offenen Räumen, dass eine Bedrohung da war, nahm man nicht wahr, und als man es merkte, war es zu spät. In Leipzig muss man das wahrnehmen: Der Hauptbahnhof ist unübersehbar.

In Hamburg zeichnet sich eine Lösung fürs Gängeviertel ab (zur Vorgeschichte: hier und hier). Es gibt anscheinend den Willen der Stadt, das Viertel ohne Investor gemeinsam mit den Besetzern zu entwickeln, allerdings ohne die Fäden ganz aus der Hand zu geben. Die Besetzer hingegen pochen auf Selbstverwaltung des Projekts.
Beide Positionen scheinen mir nicht unproblematisch. Weil beide Positionen die Gefahr in sich bergen, aus offenen Räumen geschlossene Räume zu machen. Wer sagt denn, dass sich bei Selbstverwaltung nicht eine Art "Besetzer"-Elite herausbildet, die die Räume nur noch für diejenigen öffnet, die ihnen genehm sind? Was auf lange Sicht einen Inzucht-Charakter zur Folge hätte, die dem Charme des Gängeviertels zuwider läuft. Und auf der anderen Seite: Wenn die Stadt das Viertel entwickelt und die Besetzer nur duldet, dann tritt die Stadt ja quasi als Investor auf. Und wer versichert einem, dass die diesen Job gut macht? Wenn ich mir die kulturpolitische Praxis Hamburgs in den vergangenen Jahrzehnten so anschaue, dann habe ich Zweifel, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sein könnte. Große Zweifel.

Stadtkultureller Wildwuchs ist natürlich auch nicht die Lösung. Dann landet man nämlich beim Leipziger Innenstadt-Phänomen, bei Tchibo und Karstadt. De einzige Lösung wäre wohl: Wildwuchs ohne Geld, den Wildwuchs in eine bestimmte Richtung zu lenken. Aber das mit "ohne Geld", das brauche ich in Hamburg wohl nicht zu hoffen.

Samstag, 30. Januar 2010

Alster

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Schöhön!

Mittwoch, 27. Januar 2010

Unter Krähen

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Abb.: © Herzog & de Meuron

Vor meiner Haustür wächst sie langsam in die Höhe: die Elbphilharmonie, ein Konzerthaus der Superlative. Riesig, mit der besten Akustik, die derzeit auf dem Markt ist, ein architektonisches Kleinod aus der Hand der schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron, das als Dachskulptur den wogenden Ozean zitiert, nicht zuletzt eine Landmarke, ein neues, postmodernes Wahrzeichen des Hamburger Hafens. Schön. Und langsam nimmt das Ding Gestalt an. Sehr langsam.
Eigentlich hätte diesen Herbst Eröffnung gefeiert werden sollen, eigentlich, das heißt: Als die Planungen 2003 der Öffentlichkeit präsentiert wurden, dachte man so. Mittlerweile hofft Intendant Christoph Lieben-Seutter auf eine Eröffnung im Mai 2012, woher er diese Hoffnung nimmt, bleibt unklar. Parallel explodieren die Kosten, von 150 Millionen Euro 2003 auf aktuell 450 Millionen, von denen die Stadt Hamburg, also die Öffentlichkeit, 323 Millionen zu schultern hätte.
Mittlerweile aber haben wir Finanzkrise, die öffentliche Hand schraubt Investitionen zurück, wo es nur geht, es wird gespart am Schulessen, an Unterstützung von ALG-II-Empfängern beim ÖPNV, an Schulen und Kitas. Und an der Kultur. Museen werden teurer, Theater müssen die Preise ebenso erhöhen. Und im Hafen wächst die Elbphilharmonie langsam in die Höhe, für 450 Millionen Euro.

Die Elbphilharmonie hat sich mittlerweile zum Hassobjekt entwickelt, unter Linken wie in der Kulturszene. Und es ist ja auch nachvollziehbar: An allen Ecken wird gespart, Soziales wie Kultur werden bis zum ganz konkreten Ersticken gewürgt, und im Hafen wird ein Projekt hochgezogen, das (mit Ausnahme der unzweifelhaft spektakulären Architektur) keinerlei künstlerische Avanciertheit erkennen lässt, koste es, was es wolle. Und da passt natürlich auch die schwarz-gelbe Umverteilungsdebatte gut ins Bild: Denen unten wird genommen (nämlich das kostenlose Schulessen oder die bezahlbare Karte fürs wirklich avancierte Theater), denen oben wird gegeben (nämlich ein Konzerthaus, das Programm und Preise schon entsprechend anpassen wird, damit niemand von unten hier reinkommt).
Dieser Hass ist verständlich. Aber ist er auch sinnvoll? Es hat der Kulturszene nie gut getan, wenn sie gespalten wurde. Beispielsweise war es ein großer Fehler des Theaters in den Achtzigern, sich in (vorgeblich avancierte) Off-Szene und (vorgeblich altbackenes) Stadttheater auseinanderdividieren zu lassen. Eine Krähe sollte der anderen kein Auge aushacken, tut sie es doch, besteht die Gefahr, dass am Ende beide Krähen verlieren und nur die Vogelscheuche gewinnt. Denn glaubt irgendjemand ernsthaft, dass sich die Kosten für die Elbphilharmonie andernorts in der Kulturszene besser anlegen ließen? Und sieht eigentlich jemand, was für Peanuts die Beträge sind, über die wir hier reden, im Vergleich zu echten Umverteilungsgeschichten wie den FDP-Geschenken an die privaten Krankenversicherungen?
Ja, die Elbphilharmonie steht wahrscheinlich für eine Kultur, die nicht die meine ist. Es gibt auch Viele, die nichts mit der Ästhetik des Thalia Theaters anfangen können, das sei ihnen unbenommen. Nur wenn sie fordern, dem Thalia die Unterstützung zu streichen, dann werde ich aggresiv.

Ein anderes Thema ist natürlich, weswegen eigentlich niemand die Verträge so gestaltet hat, dass man von a) einem festen Preisrahmen und b) einem klaren Zeitplan ausgehen konnte. Läuft das so ab, dass ein Baukonzern ankündigt, dass er mal anfängt zu arbeiten, wieviel es kostet, könne er aber noch nicht sagen, und die Arbeitsdauer, naja, da müsse man auch mal sehen? Oder haben sich die Verantwortlichen auf städtischer Seite schlicht über den Tisch ziehen lassen? Dann muss man sich schon die Frage stellen, weswegen man diesen Verantwortlichen, namentlich der regierenden CDU, auch nur eine Handvoll wirtschaftlichen Sachverstands zutraut.

Aber die Frage stellt ja niemand. Es ist ja viel wichtiger, die Elbphilharmonie grundsätzlich in Frage zu stellen.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Establishment

Jetzt wird es, natürlich, anstrengend. Im Gängeviertel ist der Prozess der Etablierung voll im Gange, der Investor hat endgültig das Gelände an die Stadt zurückverkauft, und die vor einem Monat angefangene Diskussion, inwiefern die im Gängeviertel ansässigen Künstler eigentlich in den Zusammenhang Gentrifizierung-Stadtmarketing-Stadtrückeroberung eingebunden sind, ist von einem Tag auf den anderen in die Praxis geworfen.

Denn jetzt geht es weniger um Fragen nach einer lebenswerten Stadt, jetzt geht es weniger darum, wie man sich mit unterschiedlichen, von der Unternehmerstadt marginalisierten Gruppen solidarisieren kann, jetzt geht es darum, sich unverzichtbar zu machen. Den Leuten zu beweisen, dass der Vertrauensvorschuss, den die Sympathien der Bevölkerung für die Gängeviertel-Besetzung bedeuteten, kein Fehler war. Auch: dafür zu sorgen, dass einen das Stadtmarketing nicht ausnutzt, dass man nicht doch am Ende nur der Clown ist, der gehen kann, sobald man ihn nicht mehr benötigt. Ironie: Heute diskutierten im Gängeviertel der Soziologe Volker Kirchberg (Uni Lüneburg) und Amelie Deuflhard, Intendantin des Kulturzentrums Kampnagel. Gerade Deuflhard aber weiß, um was es hier geht: 1982 wurden die ehemaligen Fabrikhallen des Kranbauers Kampnagel von Künstlern besetzt, nach und nach entwickelte sich hier ein regelmäßiger Theaterbetrieb, der schließlich von der Stadt legalisiert, subventioniert und zu dem international bekannten Kulturzentrum wurde, dem Deuflhard heute nicht ohne Erfolg vorsteht. Und dabei sowas von Establishment geworden ist.

Kampnagel hat den Weg von der kriminellen Stadtraumaneignung zum etablierten Kulturort geschafft, allerdings zum Preis der sozialen Verortung. Ob dem Gängeviertel Ähnliches bevor steht, hängt nicht zuletzt davon ab, wie engagiert dieses Problem diskutiert wird. Konkret: Die Besetzung des Gängeviertels hatte in Hamburg eine umfassende Mobilisierung verschiedener Initiativen zur Folge, die sich einzig im Kampf um eine nicht ausschließlich kommerziellen Interessen unterworfene Stadtplanung berühren. Organisiert waren diese Initiativen, darunter auch das Gängeviertel, im losen Netzwerk "Recht auf Stadt". Auf deren Website war zumindest heute abend noch keine Glückwunschadresse an die erfolgreichen Besetzer zu lesen.

Samstag, 5. Dezember 2009

Türme

Länger überlegt, ob und wenn ja was ich zum Schweizer Minarett-Streit schreiben soll. Es ist nicht so, dass mich das Thema nicht bewegt, gleichzeitig kommt man schnell in Teufels Küche, wenn man diese emotionale Ebene in den Vordergrund stellt. Bleibt man allerdings wie der Spiegelfechter auf der abstrakten politischen Ebene, landet an schnell bei der demokratischen Legitimationsfrage, und dann geht es an keiner Stelle mehr um das eigentliche Thema, sondern gleichzeitig auch um Schulpolitik, Kohlekraftwerke und den Flughafen Tempelhof. Darüber will ich eigentlich gar nicht sprechen.

Ich versuche ein Gleichnis.

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Christen sind dumm, meiner unbedeutenden Meinung nach. Christen sind dumm, aber viele Christen sind trotzdem ganz in Ordnung, charakterlich. Wahrscheinlich sogar die meisten. Also dürfen die Christen von mir aus auch gerne ihren seltsamen Glauben praktizieren, solange sie ihn mir nicht aufdrängen.
Leider gibt es im Christentum kleine, radikale Minderheiten, Fundamentalisten, die ihren Glauben absolut setzen: Die Piusbrüder, die US-amerikanischen Evangelikalen, Opus Dei. Die stehen natürlich nicht fürs Christentum als Ganzes, aber das Christentum als Ganzes distanziert sich auch nicht ausreichend von solchen Gruppen.
Öffentlich sichtbare, repräsentative Kirchengebäude sind demnach nicht nur sakrale Orte, Orte des Gebets, sondern Manifestationen des politischen Einflusses radikaler christlicher Gruppierungen. Solchen Umtrieben muss Einhalt geboten werden: Kirchengebäude haben sich unauffällig in die Umgebung einzupassen, insbesondere die Türme müssen als überdeutlicher Eingriff ins Stadtbild weg. Das soll kein Angrif auf den praktizierten Glauben vieler friedlicher Christen sein: Jeder darf weiterhin glauben, was er will, nur benötigt man aus theologischer Sicht keinerlei repräsentative Bauten, um diesen Glauben zu leben. Im übrigen gibt es auch viele Länder, in denen Kirchen ohne Türme gebaut werden - und die dortigen Christen glauben ihren Quark dennoch genauso fromm wie die Christen in Oberammergau, Köln und Rom.

Aber: die Architektur?

Die geht natürlich verloren, klar. Und damit auch die Qualität von Oberammergau, Köln und Rom: dass ein Heide wie ich fröhlich Kirchen besichtigen kann, die Architektur genießen kann und trotzdem nicht gauben muss. Istanbul, Budapest und die Hamburger Außenalster: dass ein Heide wie ich fröhlich Moscheen, Synagogen und, von mir aus, Pagoden besichtigen kann und trotzdem nicht glauben muss.
Ich finde, ein Stadtbild gewinnt. Mit jeder Kirche, mit jeder Moschee, mit jedem originellen Gebäude, egal, welcher Blödsinn drinnen geglaubt wird. Der Volksentscheid gegen Minarette in der Schweiz ist keine Entscheidung gegen irgendeinen Glauben, er ist eine Entscheidung gegen architektonische Vielfalt. Er ist zum Kotzen.

Freitag, 27. November 2009

... und weiter mit Werbung

Die verehrte Kollegin Ellen und ich haben einen umfangreichen Artikel über die Rückeroberung des öffentlichen Raums mittels Kunst geschrieben. Im aktuellen U_mag, das seit gestern am Kiosk liegt.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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