Dienstag, 22. Dezember 2009

Baby Jail

Ach, Baby Jail, die Guten, gibt es auch schon lange nicht mehr. Weil aber die Schweiz gerade mit eigenartigen politischen Entwicklungen auf sich aufmerksam macht, zitiere ich hier noch einmal ein hübsches Amateurvideo zu "Tubel Trophy" (1992), aktuell wie nie.

Schöne Feiertage.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Establishment

Jetzt wird es, natürlich, anstrengend. Im Gängeviertel ist der Prozess der Etablierung voll im Gange, der Investor hat endgültig das Gelände an die Stadt zurückverkauft, und die vor einem Monat angefangene Diskussion, inwiefern die im Gängeviertel ansässigen Künstler eigentlich in den Zusammenhang Gentrifizierung-Stadtmarketing-Stadtrückeroberung eingebunden sind, ist von einem Tag auf den anderen in die Praxis geworfen.

Denn jetzt geht es weniger um Fragen nach einer lebenswerten Stadt, jetzt geht es weniger darum, wie man sich mit unterschiedlichen, von der Unternehmerstadt marginalisierten Gruppen solidarisieren kann, jetzt geht es darum, sich unverzichtbar zu machen. Den Leuten zu beweisen, dass der Vertrauensvorschuss, den die Sympathien der Bevölkerung für die Gängeviertel-Besetzung bedeuteten, kein Fehler war. Auch: dafür zu sorgen, dass einen das Stadtmarketing nicht ausnutzt, dass man nicht doch am Ende nur der Clown ist, der gehen kann, sobald man ihn nicht mehr benötigt. Ironie: Heute diskutierten im Gängeviertel der Soziologe Volker Kirchberg (Uni Lüneburg) und Amelie Deuflhard, Intendantin des Kulturzentrums Kampnagel. Gerade Deuflhard aber weiß, um was es hier geht: 1982 wurden die ehemaligen Fabrikhallen des Kranbauers Kampnagel von Künstlern besetzt, nach und nach entwickelte sich hier ein regelmäßiger Theaterbetrieb, der schließlich von der Stadt legalisiert, subventioniert und zu dem international bekannten Kulturzentrum wurde, dem Deuflhard heute nicht ohne Erfolg vorsteht. Und dabei sowas von Establishment geworden ist.

Kampnagel hat den Weg von der kriminellen Stadtraumaneignung zum etablierten Kulturort geschafft, allerdings zum Preis der sozialen Verortung. Ob dem Gängeviertel Ähnliches bevor steht, hängt nicht zuletzt davon ab, wie engagiert dieses Problem diskutiert wird. Konkret: Die Besetzung des Gängeviertels hatte in Hamburg eine umfassende Mobilisierung verschiedener Initiativen zur Folge, die sich einzig im Kampf um eine nicht ausschließlich kommerziellen Interessen unterworfene Stadtplanung berühren. Organisiert waren diese Initiativen, darunter auch das Gängeviertel, im losen Netzwerk "Recht auf Stadt". Auf deren Website war zumindest heute abend noch keine Glückwunschadresse an die erfolgreichen Besetzer zu lesen.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Pet Shop Boys

Die Neunziger waren wohl die Zeit, in der mein Musikgeschmack sich verfestigte. In den Neunzigern begann ich, konsequent Indie zu hören. Indie weniger als Genre denn vielmehr als Haltung: Indie als Gegenbewegung zur Authentizitätslüge des Rock, Indie als Verneinung von Heterosexismus, Indie als gelebte Grenzüberschreitung. In den Neunzigern wurden Fragen nach Genres, nach Kommerzialität, nach Zugänglichkeit unwichtig für mich: In den Neunzigern gab ich allem erstmal eine Chance, sofern es nur irgendwie als Indie durchging.

Eigenartigerweise konnte ich in den Neunzigern rein gar nichts mit den Pet Shop Boys anfangen.

Die Pet Shop Boys, das waren für mich die ohrenfreundlichen Elektropopper zwischen 1986 und 1990, mit ihren Hits "West End Girls", "Suburbia" und "So Hard". Und die Pet Shop Boys waren für mich die campy Dancefloor-Grandseigneurs zwischen 2002 und heute, mit den Nicht-mehr-wirklich-Hits "Home and dry", "Numb" und "Love etc.". Dazwischen lagen für mich irgendwie peinliche Dancefloor-Stampfer, "Se a vida é", "New York City Boy" (von Jürgen Laarmann auch noch ganz grauenhaft als "Berlin Mitte Boy" recyclet) und, ganz schlimm, "Go west". Und ältere Männer, die nicht wirklich vom Dancefloor runter fanden.
Dass das Ergrauen und Verfetten von Neil Tennant und Chris Lowe in Wahrheit etwas mit schwulen Glamourkonzepten zu tun hatte, war mir natürlich nicht klar. Tatsächlich erkennt man diesen Sinn des Betonens junger Körper (während der eigene Körper längst nicht mehr jung ist) am Besten bei den "Live"-Auftritten der Pet Shop Boys: wenn (der gnädig Playback-verstärkte) Tennant von jugendlichen Tänzern umschwärmt wird und selbst im eigenartig hochgeschlossenen Anzug wirkt als, ob sein Herz diese Aufregung nicht mehr lange mitmachen wird. Das ist Gustav von Aschenbach in "Tod in Venedig", das ist Dekadenz, das ist Zerfall, das ist Camp. Verstand ich damals nicht, in den Neunzigern, vielleicht war ich damals ungerecht, erwartete eine Authentizität in der Authentizitätsverweigerung und wollte mit dem Pet-Shop-Boys-eigenen Beschwören von Pathos, Kitsch und Sentiment einfach nichts anfangen.

Oder vielleicht war ich einfach auch nur unbewusst homophob. Schon früh, spätestens seit "It's a sin" (1987) las ich die Songs von Tennant/Lowe eindeutig als schwul. Dass Tennant unlängst bekannte, sich erst Ende der Neunziger über seine sexuelle Orientierung klar geworden zu sein - egal. Denn mal ehrlich: Gibt es eine schwulere Ästhetik als das Video zu "Being boring" (1990)?

Dienstag, 8. Dezember 2009

Martinsfeuer

Obwohl ich brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel halte,
getraue ich mich nicht, eines anzuzünden,
da ich viele Freunde habe,
die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.


Die Goldenen Zitronen, Bloß weil ich friere

In Berlin und Hamburg brennen Autos, mehr noch: Polizisten werden konkret angegriffen. Die frisch auf die Menschheit losgelassene Familienministerin Kristina Köhler betont, dass die Angreifer sofort alle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollen. Und auf den Kommentarseiten von FAZ, Welt und Hamburger Abendblatt kommen sofort wieder die erwartbaren Idioten aus ihren Löchern, die schon immer wussten, dass Rechts- wie Linksradikale erwiesenermaßen das Gleiche seien, weswegen tunlichst der Kampf gegen rechts zurückgefahren gehört, damit man sich zukünftig erfolgreicher dem Kampf gegen links widmen könne.

Bevor mir jetzt irgendjemand unterstellt, ich wolle nur Gewalt entschuldigen: Will ich nicht. Ich will allerdings schon klarstellen, dass es einen ziemlich deutlichen Unterschied zwischen Rechten und Linken gibt: Wenn jemand in der Überzahl und damit aus einer Machtposition heraus einzelne Migranten, Behinderte oder Schwule zusammenschlägt, dann ist das nicht das Gleiche wie wenn jemand aus einer Schwachsinnsposition heraus ein paar Steine gegen bis auf die Zähne bewaffnete Staatsschützer schmeißt. Wer behauptet, rechts und links seien austauschbar, der will in Wahrheit nur relativieren.
Aber gut. Dann behandeln wir mal beide Gruppen gleich, einfach als Gedankenspiel. Und in diesem Spiel sollte man erstmal fragen: Weswegen wird jemand zum Rechten? Weil er womöglich in Sachsen-Anhalt lebt, ohne Perspektive, ohne Chance, ohne Respekt. Und weil er leider auch ein bisschen doof ist (wofür er nichts kann), glaubt er Leuten, die nicht ganz so doof sind, dafür aber fies, die ihm erzählen, dass an seiner Misere in erster Linie Migranten schuld sind. Und diejenigen, die seinen mühsam gezüchteten Männerstolz in Frage stellen, Schwule. Und diejenigen, die einfach noch ein klein wenig schwächer sind als er, Behinderte. Auf die haut er dann drauf. Das ist nicht zu entschuldigen, irgendwie aber ist es verständlich.
Denn: An der Perspektivlosigkeit des anhaltiner Jungmannes ist ja wirklich was dran. Nur den Grund für diese Perspektivlosigkeit überblickt er nicht. Wenn es nun so ist, dass dieser Grund ein Wirtschaftssystem ist, das auf Gewinnmaximierung baut, ein Gesellschaftssystem, das auf Konkurrenz baut, ein Beziehungsgeflecht, das auf Hierarchien und Autorität baut, dann prügelt er nicht auf Andere ein, dann prügelt er gegen das System. Dann zündet er das Auto eines Werbers an, dann schmeißt er die Scheibe eines Luxusrestaurants ein.

Nie würde ich ein Auto anzünden, ich habe Schiss. Aber: Ich freue mich über jedes brennende Werberauto. Und ich platze vor Wut, wenn ich höre, dass der neben dem Werberauto geparkte Lieferwagen eines türkischen Gemüsehändlers ebenfalls in Flammen aufgegangen ist, das nur nebenbei. Allerdings: Wer Menschen angreift und keine Autos, der hat nichts verstanden. Der ist kein Rechter, der ist kein Linker, der ist einfach nur ein Depp.

Alptraum

Natürlich ist es schön, wenn ein Mensch, dem man so etwas schon lange gönnt, einen Literaturpreis erhält. Allerdings ist es ein wenig ein komisches Bild, wenn dieser Mensch den Preis ausgerechnet aus den Händen der konservativen Kultursenatorin empfängt und diese Hände dann auch noch schütteln muss. Und schließlich ist es ein absoluter Alptraum, wenn der Geehrtre auf dem Weg zurück zum Tisch die Kultursenatorin erschrocken ausrufen hört: "Oh, ich fürchte, da ist etwas falsch gelaufen, kommen Sie bitte wieder zurück!"

Und trotzdem: Herzlichen Glückwunsch, A.

Samstag, 5. Dezember 2009

Türme

Länger überlegt, ob und wenn ja was ich zum Schweizer Minarett-Streit schreiben soll. Es ist nicht so, dass mich das Thema nicht bewegt, gleichzeitig kommt man schnell in Teufels Küche, wenn man diese emotionale Ebene in den Vordergrund stellt. Bleibt man allerdings wie der Spiegelfechter auf der abstrakten politischen Ebene, landet an schnell bei der demokratischen Legitimationsfrage, und dann geht es an keiner Stelle mehr um das eigentliche Thema, sondern gleichzeitig auch um Schulpolitik, Kohlekraftwerke und den Flughafen Tempelhof. Darüber will ich eigentlich gar nicht sprechen.

Ich versuche ein Gleichnis.

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Christen sind dumm, meiner unbedeutenden Meinung nach. Christen sind dumm, aber viele Christen sind trotzdem ganz in Ordnung, charakterlich. Wahrscheinlich sogar die meisten. Also dürfen die Christen von mir aus auch gerne ihren seltsamen Glauben praktizieren, solange sie ihn mir nicht aufdrängen.
Leider gibt es im Christentum kleine, radikale Minderheiten, Fundamentalisten, die ihren Glauben absolut setzen: Die Piusbrüder, die US-amerikanischen Evangelikalen, Opus Dei. Die stehen natürlich nicht fürs Christentum als Ganzes, aber das Christentum als Ganzes distanziert sich auch nicht ausreichend von solchen Gruppen.
Öffentlich sichtbare, repräsentative Kirchengebäude sind demnach nicht nur sakrale Orte, Orte des Gebets, sondern Manifestationen des politischen Einflusses radikaler christlicher Gruppierungen. Solchen Umtrieben muss Einhalt geboten werden: Kirchengebäude haben sich unauffällig in die Umgebung einzupassen, insbesondere die Türme müssen als überdeutlicher Eingriff ins Stadtbild weg. Das soll kein Angrif auf den praktizierten Glauben vieler friedlicher Christen sein: Jeder darf weiterhin glauben, was er will, nur benötigt man aus theologischer Sicht keinerlei repräsentative Bauten, um diesen Glauben zu leben. Im übrigen gibt es auch viele Länder, in denen Kirchen ohne Türme gebaut werden - und die dortigen Christen glauben ihren Quark dennoch genauso fromm wie die Christen in Oberammergau, Köln und Rom.

Aber: die Architektur?

Die geht natürlich verloren, klar. Und damit auch die Qualität von Oberammergau, Köln und Rom: dass ein Heide wie ich fröhlich Kirchen besichtigen kann, die Architektur genießen kann und trotzdem nicht gauben muss. Istanbul, Budapest und die Hamburger Außenalster: dass ein Heide wie ich fröhlich Moscheen, Synagogen und, von mir aus, Pagoden besichtigen kann und trotzdem nicht glauben muss.
Ich finde, ein Stadtbild gewinnt. Mit jeder Kirche, mit jeder Moschee, mit jedem originellen Gebäude, egal, welcher Blödsinn drinnen geglaubt wird. Der Volksentscheid gegen Minarette in der Schweiz ist keine Entscheidung gegen irgendeinen Glauben, er ist eine Entscheidung gegen architektonische Vielfalt. Er ist zum Kotzen.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Auf Schienen

In der Novemberausgabe von theater heute beschrieb Franz Wille das Leben des Theater-Jetset, heute München, morgen Berlin, übermorgen Frankfurt. Kulturstiftendes Moment dieses Lebens war für Wille die Bahncard 100, 1. Klasse.
Das kulturstiftende Moment meines Lebens wären demnach die Lidl-Bahntickets, Hin- und Rückfahrt für 66 Euro, ab Montag wieder in der Filiale Ihres Vetrauens.

Montag, 30. November 2009

Weg

Jenny Erpenbeck bedauert in ihrer Kolumnensammlung "Dinge, die verschwinden", dass Manieren, Benimm, Höflichkeit nicht mehr hoch im Kurs stünden. Stimmt schon, ich bedaure das auch. Früher wusste man sich noch zu benehmen, früher,

- im Mittelalter, als Frauen schnell mal auf dem Scheiterhaufen landeten und soziale wie wirtschaftliche Probleme mittels Kreuzzügen gelöst wurden.
- in den 30ern, als die Mehrheit alle, die nicht mehrheitsfähig waren, ins Gas schickte.
- in den 50ern, als unverheiratete Frauen pauschal als Huren gelten konnten.
- in den 80ern, als weltumspannnend nur noch an den eigenen Vorteil gedacht wurde, was politisch zu Reagan, Thatcher und Kohl führte.
- in den 90ern, als die gleichen Menschen, die kurz zuvor prolldoof "Wir sind ein Volk!" geblökt hatten, den rechten Arm vor brennenden Asylantenheimen hoben.

Ich mein ja nur. Davon abgesehen ist "Dinge, die verschwinden" allerdings ein sehr, sehr schönes Buch. Echt.

Freitag, 27. November 2009

... und weiter mit Werbung

Die verehrte Kollegin Ellen und ich haben einen umfangreichen Artikel über die Rückeroberung des öffentlichen Raums mittels Kunst geschrieben. Im aktuellen U_mag, das seit gestern am Kiosk liegt.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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