Real life, omg

Samstag, 19. Juni 2010

Richtersprüche

Daniel Richter zieht um. Nun gut, es ist noch keine Nachricht, dass ein geschätzter zeitgenössischer Maler nach Berlin zieht. Überhaupt, dass Daniel Richter ein Hamburger Künstler sei, war ohnehin ein großes Missverständnis: Seine Galerie sitzt in der Hauptstadt, er hat dort eine Wohnung und ein Atelier, seine Sujets findet er eher in Berlin als in Hamburg. Bemerkenswert ist, wie Daniel Richter seinen Abschied aus der Hansestadt inszeniert: als Generalabrechnung. In einem Interview mit dem Zentralorgan bräsig-selbstgefälligen Hanseatentums, dem Hamburger Abendblatt, wirft Richter der zweitgrößten Stadt Deutschlands kulturpolitisches Totalversagen vor. Schauspielhaus, Kunsthalle, Galerien: allesamt bestenfalls Kreisklasse.

Mir ist es egal, wo Daniel Richter wohnt, ob seine Bilder in Hamburg entstehen oder in Berlin oder in Oberammergau, ist mir wurscht. Außerdem mag ich Berlin, und eine spannende Ausstellung ist allemal ein Grund, ein Wochenende in der Hauptstadt zu verbringen. Was mir mehr fehlen wird, ist das charmante Theater Fleetstreet von Richters Frau Angela, dessen Zukunft in den Sternen steht: Theater ist im Gegensatz zu Bildender Kunst ortsgebunden, in Zukunft werde ich weinen, wenn ich durch den ehemaligen Fleetstreet-Standort Admiralitätsstraße gehe. Aber wen interessiert, wenn ich weine?
Was allerdings schon interessant ist, ist Richters Befund über die Hamburger Kultur: "Alle, die künstlerische Ambitionen haben, sind in Berlin. Nach Hamburg kommt einfach niemand mehr", sagt der Maler im Abendblatt-Interview. "Die großen Häuser hier liegen am Boden. Schauspielhaus und Kunsthalle, verglichen mit Kampnagel und Kunstverein - da liegen Kampnagel und Kunstverein eindeutig leider vorn." Was Richter allerdings verschweigt (und dass hier nicht nachgefragt wurde, sagt viel über das journalistische Niveau des Abendblatts aus), ist: Auch in Berlin sind die großen Kulturinstitutionen nicht gerade Weltspitze. Die Staatlichen Museen - in ihrer Größe gefangen, unfähig zu wichtigen Einzelausstellungen. Das Deutsche Theater - nach einem halbherzigen Start auf dem Weg in die Irrelevanz. Die Volksbühne - heillos zerstritten. Der Unterschied zu Hamburg ist: In Berlin gibt es einen kreativen Humus, in Berlin gibt es aktive, sich ständig neu erfindende Galerien, in Berlin gibt es, das vor allem, Geld für künstlerische Basisarbeit. Dass so ziemlich jeder junge Theatermacher direkt nach seinem Abschluss nach Berlin zieht, liegt a) an den immer noch konkurrenzlos günstigen Mieten b) an der Tatsache, dass hier lauter Gleichgesinnte leben, mit denen man gemeinsam Projekte angehen kann und c) am Hauptstadtkulturfonds. Ohne solche Fördermöglichkeiten lässt sich avancierte junge Kunst hierzulande schlicht nicht realisieren. Jemand wie Daniel Richter hat solch eine Förderung nicht mehr nötig - aber wer will es ihm verdenken, dass er gerne Leute um sich hat, die solch eine Förderung sehr wohl nötig haben?

Wenn man sich diese Förderungskanäle anschaut, wird deutlich, dass die Frage nach einem individuellen Wohnort ganz schnell eine politische Frage geworden ist. Die Gesellschaft stellt es jungen Künstlern nicht mehr frei, nach Berlin zu ziehen, wenn sie möchten - sie zwingt junge Künstler, nach Berlin zu ziehen. In der Kulturszene entwickelt sich gerade ein Zentralismus, wie man ihn nicht einmal aus dem Parisfixierten Frankreich kennt (wenn man davon absieht, dass gerade die französische Kulturpolitik mittlerweile den anderen Weg geht und bevorzugt Projekte in den Regionen fördert). Das war schon einmal anders. Es gab einmal den Aufstieg des Bochumer Schauspielhauses zum wichtigsten Theater der Republik, es gab Pina Bausch in Wuppertal, vorbei, heute nicht wiederholbar. Das war alles zu Zeiten von Willy Brandt, da ging es darum, mehr Demokratie zu wagen, und Ausdruck dieser unaufgeregten Demokratie war ein ausgeprägter Föderalismus, nicht zuletzt in kulturellen Fragen. Heute ist alles anders, wir sind wieder wer, und Berlin ist am Meisten.

Und das ist Deutschland hier.

Freitag, 11. Juni 2010

Wir Nazienkel

Politische Psychologie ist eine eigenartige Disziplin. Politische Psychologie erklärt das, naja, spezielle Verhältnis der jüngeren deutschen Linken gegenüber Israel, und zwar nach dem Prinzip: Wir haben uns so intensiv mit den Untaten unserer Großväter auseinander gesetzt, wir haben uns so leidenschaftlich von ihnen distanziert, dass wir Israel mit aller Härte kritisieren dürfen. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Klingt blödsinnig, aber vielleicht ist ja was wahres dran. Dass eine linke Gruppe aus dem "Internationalen Zentrum B5" eine (durchaus umstrittene) Filmvorführung im Hamburger Kino B-Movie dadurch torpediert, indem sie die Kinobesucher einen improvisierten Checkpoint passieren lässt und nichtmal merkt, was es im Kontext Israel für Bilder weckt, wenn Deutsche Andersdenkende durch einen Stacheldrahtverhau treiben, das ist schon ein starkes Stück.
In der "Welt" erklärt Maler Daniel Richter diese grauenhaft aus dem Ruder gelaufene Inszenierung mit der oben skizzierrten Politischen Philosphie: "(...) an Israel will man etwas beweisen. Man will beweisen, dass man mindestens genauso gut ist wie der Gegenüber. Vielleicht sogar besser. Man will die eigene moralische Überlegenheit demonstrieren. Die Kinder der Nazis wollen gerechter sein als die Juden, um den Juden beweisen zu können, dass diese mit der Staatsgründung Israels genauso Verbrecher geworden sind wie die Nazis." Der (mittlerweile zu diesem Artikel nicht mehr zugängliche) Kommentarbereich haut (wie in den Kommentaren der Welt üblich) Richters differenzierte Analyse über den Haufen und lässt die rechte Volksseele hemmungslos wüten: Die Linken sind die wahren Antisemiten, rechte Antisemiten gibt es eigentlich gar keine. Was historisch natürlich Blödsinn ist, aber historisch firm sind Welt-Leser bekanntermaßen grundsätzlich nicht.

Das ist die eine Seite. Die andere ist die: Muss ich, nur weil ich Deutscher bin, mir meiner historischen Verantwortung bewusst bin und die Politische Ästhetik der "Warum Israel"-Blockade unerträglich finde, die israelische Politik grundsätzlich gut finden? Denn es gibt nicht nur die Linke, die sich vor Hamburgerb Kinos unmöglich macht und so zumindest auf der optischen Ebene eine Verbindung zum Faschismus herstellt, es gibt beispielsweise die Antideutschen, die als reflektierte Nazienkel jede politische Frage mit der Frage verknüpfen, was das jeweilige Thema mit ihrer bedingungslosen Solidarität mit Israel zu tun hat. Was ganz eigene Koalitionen zur Folge hat: Antideutsche etwa waren im Irakkrieg pro Bush, weil Bush laut dieses verqueren Weltbilds gegen den Irak war und der Irak erklärtermaßen gegen den Staat Israel war.
Ohnehin ist Philosemitismus heute im Gegensatz zur Weimarer Republik eher rechts zu Hause: Der Springer-Verlag etwa hat die Solidarität mit Israel an prominenter Selle in seinen Unternehmensgrundsätzen festgeschrieben.

In seinem Verhältnis zu Israel kann man als durchschnittlicher linker Nazienkel demnach eigentlich nur alles falsch machen. Entweder man positioniert sich eindeutig Anti-Israel, dann steht man plötzlich in faschistischer Ästhetik vor Kinos rum und bekommt womöglich noch Applaus von Altnazis, die schon immer der Meinung waren, dass Opa vor 70 Jahren seinen Job einfach nicht gut genug gemacht hat. Oder aber man gibt sich pro-israelisch und findet sich über die Solidaritätsschiene plötzlich mit Rechtskonservativen im gleichen Bett wieder. Differenziert sein kann man nicht, und da haben wir wieder die Fallstricke der Politischen Psychologie. Die Logik sagt: Ja, man muss Israel vernünftig kritisieren können. Aber, leider, Psychologie ist nicht logisch.

Nein, ich weigere mich, beim Ship-to-Gaza-Zwischefall ausschließlich auf die israelische Berichterstattung zu vertrauen. Ich glaube grundsätzlich, dass es nicht nötig ist, eine hochgerüstete Militäreinheit ein Massaker veranstalten zu lassen, weil sie von Terroristen (?) mit Waffen wie Stahlknüppeln (!) angegriffen werden.
Doch, ich glaube, dass die israelische Bevölkerung ein Recht auf friedliches Leben in einem eigenen Land hat. Und ich denke auch, dass es historisch begründbar ist, dieses Land in der Gegend des heutigen Staates Israel anzusiedeln.
Nein, ich habe meine Zweifel an der Tauglichkeit der Zwei-Staaten-Lösung. Wie sollte ein eigenständiger Palästinenserstaat überlebensfähig sein? Unabhängig von Israel, das wird schon geographisch schwierig. Die einzige Möglichkeit für einen Palästinenserstaat wäre eine Achse Gaza-Damaskus-Teheran - und die können weder Israel noch die USA wollen.
Überhaupt, die USA. Ich würde nie behaupten, dass der Staat Israel ein Produkt der USA wäre. Aber: Den USA kommt es sehr gelegen, mit Israel einen eindeutig westlich orientierten Verbündeten im Nahen Osten zu haben. Und, tut mir leid, als jemand der die Rolle der USA in der Welt mehr als kritisch betrachtet, habe ich bei dieser Konstellation Bauchschmerzen, zumal Israel als einziger Staat Atomwaffen besitzt.

Über diese Punkte würde ich mir gerne Gedanken machen. Klappt nicht. Meine Psyche steht mir im Weg, wieder mal.

Freitag, 30. April 2010

Heraus zum 1. Mai

Schon klar, Innenminister ist ein Drecksjob. Immer den harten Hund geben zu müssen, obwohl man womöglich in Wahrheit ein liberaler Feingeist ist, das ist nicht schön. Otto Schily und Wolfgang Schäuble haben mir manchmal richtig leid getan, echt.

Nein.

Seit Herbst ist Thomas de Maizière christdemokratischer Bundesinnenminister, und der tut mir nicht leid. Weil de Maizière nicht so tut, als ob er ein Hardliner sei, im Gegenteil, er tut verständig, ist dabei aber ein verbohrter Ideologe. Einer, der sein Leben der Mission gewidmet hat, das von linksliberalen Weichlingen unterjochte Deutschland zu befreien, ein Land wieder gerade zu rücken, in dem - aus de Maizières Sicht - Linke grenzenlose Narrenfreiheit genießen, während Rechte ungerechtfertigterweise übelst verfolgt werden. Dass es dieses Land nicht gibt - de Maizière kümmerts nicht. Seit Wochen redet er in allen Medien, die ihm ein Mikro hinhalten, bürgerkriegsähnliche Zustände bei linken Demos am 1. Mai herbei, solange bis ihm ein paar der viel beschriebenen "erlebnisorientierten Jugendlichen" den Gefallen tun, eine Scheibe einzuschmeißen.

Am 25.4. gab de Maizière dem Hamburger Abendblatt (das ich ungern verlinke, weil ich der Springerpresse nicht auch noch Klicks schenken möchte, hier muss es aber sein - als Beleg der Ungeheuerlichkeit) ein Interview, in dem der Innenminister nicht nur die bei Konservativen übliche Gleichsetzung Rechts-Links vorbetet, nein, er fordert explizit, den Kampf gegen Rechts ruhen zu lassen, um den Kampf gegen Links forcieren zu können.

"Ich appelliere an alle Bürger, keinen zusätzlichen Anlass zu bieten, der Polizeikräfte bindet. Rechtsextremisten, die demonstrieren, kann man mal auch durch Nichtachtung besonders strafen."

Das ist heftig. So heftig, dass ich kurz überlegen musste, was man so anstellen könnte, um die Polizeikräfte wenigstens ein wenig zu bündeln. Nein, ich plädiere nicht dafür, Luxusautos anzuzünden, ich plädiere nicht einmal dafür, den ranstürmenden Polizisten ein bisschen langsamer die Straße freizumachen. Bringt ja alles nichts, ist eher kontraproduktiv. Aber ich plädiere dafür, sich noch einmal auf der Zunge zergehen zu lassen, was Thomas de Maizière da gesagt hat, ganz genüsslich.

Zum Thema Autoanzünden zitiere ich dagegen resigniert Die Sterne. Und zwar "Kaltfront" (2004):

Gewalt ist keine Lösung und taugt auch nicht als Strategie.
Wir rufen ausdrücklich nicht dazu auf. Doch die,
die Druck ausüben, um uns in die Knie zu zwingen,
die sind gewalttätig, während wir nur singen.

Dienstag, 23. März 2010

Radlosigkeit

Ich fahre gerne Rad, doch. Ich mag es nur nicht, wenn dieser Spaß am Radfahren den Charakter einer Freizeitbeschäftigung annimmt, das hat dann was von Sport, und Sport finde ich grundsätzlich: doof. Aber mit dem Fahrrad von Punkt A nach Punkt B zu zuckeln, weil ich zu Punkt B muss, das ist okay.
Was ich außer Sport auch doof finde: mein Fahrrad zu pflegen. Darauf zu achten, dass Bremsen und Beleuchtung funktionieren. Reifen zu flicken. Oder Geld dafür auszugeben, dass andere meine Reifen flicken. Morgens mein Rad aus dem Keller auf die Straße wuchten, abends das Ganze zurück. Doof.

Für Leute wie mich gibt es die Hamburger Stadträder. Leihfahrräder, die an bestimmten über die Stadt verteilten Stationen mitgenommen werden können, um dann an einer anderen Station wieder abgegeben zu werden. Ich weiß, solche Systeme gab es schon häufiger, in Amsterdam, in Kopenhagen, in Helsinki. Fast immer war es dort so, dass die Räder über kurz oder lang geklaut und damit unbrauchbar waren: Selbst das uncoolste Leihfahrrad hat Teile, die sich für ein paar Cent weiterverkaufen lassen. Und wenn sich die Dinger partout nicht zu Geld machen lassen, dann zersticht der gemeine Alltagsvandale eben mal die Reifen.
In Hamburg geht man das Thema weniger naiv an: Um die Räder auszuleihen, muss man sich per Kredit- oder EC-Karte identifizieren, außerdem muss man online registriert sein. Zudem kosten längere Ausleihphasen, wer ein Rad über 30 Minuten nutzt, zahlt. Nicht viel, drei bis vier Cent pro Minute, aber immerhin. Dafür sind die Räder topp gewartet, übers Design könnte man streiten, auch sind sie verhältnismäßig schwer, aber es ist immer ausreichend Luft in den Reifen, die Bremsen funktionieren, ebenso die Sieben-Gang-Schaltung. Gute Sache, aber.

Die Räder sind vollgestopft mit Hightech. Und Hightech ist störungsanfällig, konkret: Die Ausleihe passiert an Terminals mit Touchscreen. Und ein Touchsceen, der einen Winter über der Hamburger Witterung ausgesetzt ist, funktioniert gerne mal nicht. Pech.
Außerdem hantiert man mit Unmengen von Zahlen. Man hat eine Kundennummer, außerdem gibt es eine Notfall-Telefonnummer. Leiht man ein Rad aus, muss man sich am Terminal mit der EC-Karte identifizieren, dann nennt man die vierstellige Nummer des gewünschten Rads und erhält einen vierstelligen Entsperrungscode. Den man auf einem weiteren Touchscreen am Rad eintippt. Gibt man das Rad zurück, erhält man am Fahrrad-Screen einen vierstelligen Rückgabecode, am Terminal-Screen gibt man darauf 1.) die vierstellige Fahrradnummer ein und 2.) besagten vierstelligen Rückgabecode. Gibt es bei diesen Schritten nun irgendwelche Probleme, dann kann man die Notfallnummer anrufen. Der nennt man seine neunstellige Kundennummer, die dreistellige Nummer des Terminals, an dem man gerade steht, die vierstelige Nummer des Rads, um das es geht, und den vierstelligen Entsperrungs- beziehungsweise Rückgabecode. Und jetzt alle von vorn.
Auerdem verbreitet man als Stadtrad-Nutzer Daten. Personalisierte Daten, die auch noch mit recht genauen Bewegungsprofilen einher gehen. Stadtrad Hamburg wird als Kooperation von Stadt Hamburg und der Bahn betrieben - und dass letzteres Unternehmen nicht unbedingt ein mustergültiger Datenschützer ist, dürfte bekannt sein. Das kann durchaus zum Problem werden.
Und nicht zuletzt: Das System baut darauf, dass an allen Terminals immer sowohl ausreichend Räder zur Verfügung stehen als auch ausreichend freie Plätze für rückgabewillige Nutzer. Wer dringend auf einen Termin muss und dann vor einer leeren Ausleihstation steht, wird sich ärgern, genauso wie jemand, der kurz vor Ablauf der kostenfreien halben Stunde das Rad zurückgeben möchte und keinen Platz findet, an dem er sich anschließen kann. Ein Beispiel: In diesem Augenblick finden sich am Terminal "Bahnhof Altona Ost" drei Räder, an "Bahnhof Altona West" eines und an "Ottenser Marktplatz" zwei. Damit wäre Ottensen abgegrast. Und wo sind die ganzen Räder? Die verstopfen wahrscheinlich gerade die Terminals in St. Pauli.

Und doch: Ich bin begeistert. Frühling! Freiheit! Endlich nicht mehr die stinkende S-Bahn! Wenigstens für die nächsten Tage ...

Samstag, 13. Februar 2010

Opa erzählt vom Krieg



Ich war noch nie im Berghain. Helene Hegemann war angeblich schon mal da, behauptet sie, obwohl das Berghain ja angeblich der Laden mit der härtesten Tür der Stadt, ach was, des Landes sein soll. Unter 18 käme da niemand rein, was deswegen bemerkenswert ist, weil Hegemann erst 17 ist, wobei mir andererseits egal ist, ob es jemand schafft, die härteste Tür von wo auch immer auszutricksen, im Gegenteil: Ich freu mich dann doch für denjenigen.
Die andere Frage ist die, ob ich eine harte Tür überhaupt gut finden soll. Der legendäre Ruf des Berghain beruht ja zu einem Gutteil auf dieser berüchtigten Tür, angeblich würden jedes Wochenende ganze Partytouristengruppen von weither abgewiesen, die dann am nächsten Samstag wieder in der Schlange stünden, still hoffend, diesmal vielleicht eingelassen zu werden. (Davon abgesehen, dass ich es keinem Clubbetreiber verübeln kann, wenn er keine Touries im Laden haben will: Ist das glaubhaft? Dass die Styler aus London und Paris und Barcelona jedes Wochenende anreisen, nur auf Grund einer unbestimmten Hoffnung?)

Eine harte Tür, das bedeutet Elitenformung: Wir haben die, die rein kommen, und wir haben die, die draußen bleiben müssen. Aber: Als ich in Berlin lebte, damals, vor gut zehn Jahren, gab es solch eine Türsteherkultur noch nicht. Ich kam problemlos in jeden Laden, in den ich wollte, ins Maria, ins Eschschloraque rümschrümp, in die Galerie berlintokyo. Und das waren nicht die schlechtesten Läden, vor allem: Ein Publikum, das man nicht haben wollte, kam einfach nicht. Die fühlten sich in meinen Läden schlicht nicht wohl. Wenn man so wollte, hat sich die Elite ganz von alleine rausgebildet, ganz ohne Türsteher.
Und plötzlich hatte der erste Laden eben doch seinen Türsteher: der Kurvenstar am Hackeschen Markt. Mich störte das nicht, das Kurvenstar-Publikum war eine Mischung aus Dorfprolls und Schickis, mit denen wollte ich sowieso nichts zu tun haben, aber im Stadtmagazin Zitty gab es plötzlich aufgeregte Debatten: ob womöglich der Kurvenstar die Qualität des Berliner Nachtlebens ohne Not aufgeben würde, ob Berlin nicht gerade deswegen so cool sei, weil es hier anders zuginge als in Hamburg oder München?

Diese Erinnerungen haben etwas von "Opa erzählt vom Kieg", schon klar. Vielleicht lässt sich der Charme des Jahrtausendwende-Berlins schlicht nicht konservieren, in einer Zeit, in der der Easyjetset in die Stadt eingefallen ist, vielleicht muss man mittlerweile wirklich darauf achten, dass nicht Hinz und Kunz aus London, Paris und Barcelona die Clubs zuballern. Und außerdem lebe ich längst in Hamburg und habe mich absolut damit arrangiert, dass es hier überall Türsteher gibt. Vielleicht lassen sich Türsteher ja wirklich nicht vermeiden.

Aber dass die größte Qualität eines wahrscheinlich ganz coolen Clubs sein soll, die härteste Tür der Stadt zu habe, das finde ich trotzdem: traurig.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Martinsfeuer

Obwohl ich brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel halte,
getraue ich mich nicht, eines anzuzünden,
da ich viele Freunde habe,
die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.


Die Goldenen Zitronen, Bloß weil ich friere

In Berlin und Hamburg brennen Autos, mehr noch: Polizisten werden konkret angegriffen. Die frisch auf die Menschheit losgelassene Familienministerin Kristina Köhler betont, dass die Angreifer sofort alle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen sollen. Und auf den Kommentarseiten von FAZ, Welt und Hamburger Abendblatt kommen sofort wieder die erwartbaren Idioten aus ihren Löchern, die schon immer wussten, dass Rechts- wie Linksradikale erwiesenermaßen das Gleiche seien, weswegen tunlichst der Kampf gegen rechts zurückgefahren gehört, damit man sich zukünftig erfolgreicher dem Kampf gegen links widmen könne.

Bevor mir jetzt irgendjemand unterstellt, ich wolle nur Gewalt entschuldigen: Will ich nicht. Ich will allerdings schon klarstellen, dass es einen ziemlich deutlichen Unterschied zwischen Rechten und Linken gibt: Wenn jemand in der Überzahl und damit aus einer Machtposition heraus einzelne Migranten, Behinderte oder Schwule zusammenschlägt, dann ist das nicht das Gleiche wie wenn jemand aus einer Schwachsinnsposition heraus ein paar Steine gegen bis auf die Zähne bewaffnete Staatsschützer schmeißt. Wer behauptet, rechts und links seien austauschbar, der will in Wahrheit nur relativieren.
Aber gut. Dann behandeln wir mal beide Gruppen gleich, einfach als Gedankenspiel. Und in diesem Spiel sollte man erstmal fragen: Weswegen wird jemand zum Rechten? Weil er womöglich in Sachsen-Anhalt lebt, ohne Perspektive, ohne Chance, ohne Respekt. Und weil er leider auch ein bisschen doof ist (wofür er nichts kann), glaubt er Leuten, die nicht ganz so doof sind, dafür aber fies, die ihm erzählen, dass an seiner Misere in erster Linie Migranten schuld sind. Und diejenigen, die seinen mühsam gezüchteten Männerstolz in Frage stellen, Schwule. Und diejenigen, die einfach noch ein klein wenig schwächer sind als er, Behinderte. Auf die haut er dann drauf. Das ist nicht zu entschuldigen, irgendwie aber ist es verständlich.
Denn: An der Perspektivlosigkeit des anhaltiner Jungmannes ist ja wirklich was dran. Nur den Grund für diese Perspektivlosigkeit überblickt er nicht. Wenn es nun so ist, dass dieser Grund ein Wirtschaftssystem ist, das auf Gewinnmaximierung baut, ein Gesellschaftssystem, das auf Konkurrenz baut, ein Beziehungsgeflecht, das auf Hierarchien und Autorität baut, dann prügelt er nicht auf Andere ein, dann prügelt er gegen das System. Dann zündet er das Auto eines Werbers an, dann schmeißt er die Scheibe eines Luxusrestaurants ein.

Nie würde ich ein Auto anzünden, ich habe Schiss. Aber: Ich freue mich über jedes brennende Werberauto. Und ich platze vor Wut, wenn ich höre, dass der neben dem Werberauto geparkte Lieferwagen eines türkischen Gemüsehändlers ebenfalls in Flammen aufgegangen ist, das nur nebenbei. Allerdings: Wer Menschen angreift und keine Autos, der hat nichts verstanden. Der ist kein Rechter, der ist kein Linker, der ist einfach nur ein Depp.

Donnerstag, 26. November 2009

Wohnfront

Was ich ganz schön finde: Meine Biografie an Hand meiner unterschiedlichen Wohnungen nachzuvollziehen. Leider ohne Fotos, von den meisten Wohnungen gibt es keine.

1. Thalfingen
1.1. Eichenstraße, 1972
Keine wirkliche Erinnerung. Hey, ich war frisch geschlüpft. Aber: Kurzzeitig lebte ich in Bayern, immerhin. Das damals unabhängige Thalfingen, soviel nur nebenbei, ist mittlerweile integriert in die Gemeinde Elchingen, Kreis Neu-Ulm.

2. Ulm
2.1. Eugen-Bolz-Straße, 1972-81
Kindheit. Eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem zweistöckigen Häuschen. Erdgeschoss, am Hang, über uns die Vermieterin. Eigentlich schöne Erinnerungen. Zu klein geworden, nachdem meine Schwester auf die Welt kam.

2.2. Bei der Pilzbuche, 1981-92
Außerdem wollten meine Eltern wohl was eigenes. Wir blieben im Viertel (Ulm-Böfingen, ein sozial extrem heterogener Stadtteil, der sich im Gegensatz zur Ulmer Innenstadt auf der Albhochfläche befindet), zogen aber ein paar Kilometer hangaufwärts ins Neubaugebiet. Platz, eigenes Zimmer, großer Garten. Ganz schön, eigentlich. Fand ich als Pubertierender natürlich grauenhaft. Was wirklich nicht so toll war: Fast eine Dreiveirtelstunde mit dem Bus in die Innenstadt zur Schule zu fahren. Und überhaupt: dorthin, wo was los war.

3. Tübingen
3.1. Nikolaus-Lenau-Straße, 1992-93
Erste eigene Wohnung. Beziehungsweise: erstes eigenes Zimmer. Unterm Dach im Neubau eines jungen Paares, er Zeitsoldat, sie Hausfrau. Im Nebenzimmer: ein älterer BWL-Student, mit dem ich kaum ein Wort wechselte, der sich allerdings bei den Vermietern über meinen Lärm beschwerte. Schon wieder Neubaugebiet, schon wieder Vorort (Tübingen-Hirschau), schon wieder eine Dreiviertelstunde in die Innenstadt (zuzüglich ging es von der Innenstadt auch noch auf den Berg, in die naturwissenschaftlichen Institute der Morgenstelle, wo ich kurzzeitig studierte). Außerdem musste ich am Wochenende nach Hause fahren, damit die Vermieterin mein Zimmer putzen konnte. Mit anderen Worten: die Hölle. Für mich das Paradies auf Erden.

4. Gießen
4.1. Eichendorffring, 1993-95
Studentenwohnheim. Neun Quadratmeter, eine (recht geräumige) Küche, zwei Duschen und zwei Toiletten für zwölf Mitbewohner. Und was für Mitbewohner: Spießer, Jungunionisten, Wochenendheimfahrer. Am Stadtrand Gießens, in direkter Nachbarschaft zum Autobahnring. Das klingt jetzt schlimmer als es eigentlich war. Was allerdings wirklich stimmt: Es hätte viel, viel besser sein können.

4.2. Roonstraße, 1995-98
Besser war es dann hier: Gießen-Downtown, Hochparterre, 16 Quadratmeter, Dusche (mit kaum zuverlässigem Boiler) und Kochgelegenheit im Zimmer, Toilette im Treppenhaus. Das (lebensgefährliche) Hochbett sorgte dafür, dass man eine ganze Menge Platz hatte. Immerhin: Ich hatte eine Sofaecke! Und einen Schreibtisch! Schade allerdings, dass der Vermieter es toll fand, auf die wunderschön abgeschliffenen Dielen einen Teppichboden zu legen.

5. Berlin
5.1. Willibald-Alexis-Straße, 1998-99
Die erste (und einzig echte) WG! Mit einem Punk! In Kreuzberg! Kohleofen! Zwei Zimmer, 40 Quadratmeter, ehemals besetzter, denkmalgeschützter Altbau mit reichlich Renovierungsstau, 5. Stock. Es war großartig, wenn auch die Dusche mit nicht funktionierendem Durchlauferhitzer sehr gewöhnungsbedürtfig war. Trotzdem: Jederzeit würde ich das wieder machen.

4. Gießen
4.3. Kirchenplatz, 1999-2001
Zurück nach Gießen. Zum ersten Mal mit der Liebsten zusammengezogen, noch zentraler ins Zentrum, in eines der wenigen mittelalterlichen Häuser dieser nach dem Krieg entsetzlich verschandelten Stadt. Gedacht war das noch als eine Art WG, sie hatte ihr Zimmer, ich meines, außerdem hatte sie ein Arbeitszimmer, und in der geräumigen Küche konnten wir uns gut aufhalten. Eigentlich hatte ich vor, hier meine Doktorarbeit zu schreiben, stattdessen nahm ich einen Job als Lokaljournalist an, im Taunus, 40 Kilometer entfernt. Was hieß: Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben ein Auto. Bei einer Wohnung in der Fußgängerzone ist das subotimal. Tolle Wohnung, trotz allem.

6. Hamburg
6.1. Scheel-Plessen-Straße, 2001
Die Horrorwohnung. Ich ging nach Hamburg, um ein Volontariat zu machen, die Liebste blieb in Gießen, und nachdem ich länger nichts fand, zog ich bei einer jungen Frau in einen Altbau direkt am Bahnhof Altona ein. Mein Zimmer hatte knapp acht Quadratmeter (für die ich immerhin die halbe Wohnungsmiete abdrücken durfte), ab April stand die Luft, nachts prügelten sich die Alkis vor der Absturzkneipe im Erdgeschoss, vom gegenüberliegenden Bahnsteig tönte alle zwei Stunden die Ansage „Auf Gleis drei fährt jetzt ab: Interregio 1564 nach Karlsruhe über Hannover, Kassel, Gießen ...“, und mein fernbeziehungsmäßig verliebtes Herz begann, zu bluten. Zudem hatte meine Mitbewohnerin zwei kleine Kinder, die zwar die meiste Zeit beim Vater verbrachten, einem, wenn sie aber da waren, das Leben zur Hölle machten. Und auch wenn sie nicht da waren, versiffte die Miniwohnung zusehends. Drei Monate hielt ich es aus.

6.2. Friesenweg, 2001-2004
Eine Wohnung der Wohnungsbaugesellschaft. Was bedeutet: Anonymität! Keine nervenden Vermieter! Schön! Gut, die Wohnung war klein, aber sie war meins. Gut, die Gegend war ein öde Brache zwischen Industrie- und Neubaugebiet, aber egal. Ich wohnte hier gerne, in einem kleineren Wohnblock mit Tendenz zur Gettoisierung – nachdem ich ausgezogen war, ging es mit der Gegend anscheinend immer weiter bergab. Zur Lage: Der Friesenweg bildet die Grenze zwischen den Vierteln Ottensen (cool) und Bahrenfeld (öde), meine Wohnung lag noch auf ottenser Seite. Was Kollege J. zur Feststellung verleitete: „Hipnessfaktor von Bahrenfeld, Preisniveau von Ottensen.“ Blödsinn: Die Wohnung war spottbillig.

6.3. Woyrschweg, 2004-2006
Endlich Platz! Eine Zweizimmerwohnung ganz für mich alleine, dazu eine riesige Wohnküche! In einem wunderschönen Altbau! Mit Blick auf einen kleinen Park! Natürlich hatte der Woyrschweg auch seine Macken – und ich meine damit nicht den unaussprechlichen Straßennamen. Sondern die Nachtspeicheröfen, die die Wohnung kaum warm bekamen. Und die Tatsache, dass ich nun endgültig in Bahrenfeld wohnte, also auf der Uncoolnessskala einen guten Schritt nach vorn gemacht hatte. Und weil ich hier den negativen Aspekt des (ansonsten nur zu empfehlenden) genossenschaftlichen Wohnens zu spüren bekam: den Hang zur Verspießerung bei der Hausgemeinschaft. Wenigstens die Nachtspeicheröfen kamen nach einem Jahr raus und wurden durch ganz großartige Fernwärme ersetzt, was die Wohnung zwar ein Stück teurer machte, dennoch ein großer Fortschritt war. Allerdings zog ich kurz darauf aus.

6.4. Bahrenfelder Chaussee, 2006-2009
Die Liebste zog endlich aus Gießen nach Hamburg, und für zwei Menschen (und vor allem: für zwei Haushalte) war es im Woyrschweg doch ein wenig eng. Nachdem wir lange (und zunehmend verzweifelt) gesucht hatten, bot uns die Wohnungsbaugenossenschaft endlich eine Wohnung an: um die Ecke (also weiter uncool), allerdings direkt an einer vierspurigen Straße. Die Hausgemeinschaft war auch ein wenig anders: Lebten im Woyrschweg Spießer, so lebten an der Bahrenfelder Chaussee Prollspießer, missgünstige, laute, aggressive Blockwarte. Ich habe noch nie Menschen erlebt, die solch eine Unfreundlichkeit und Überheblichkeit an den Tag legten, wie die Bewohner dieses unförmigen, riesigen Rotklinkerblocks. Die Wohnung selbst war klasse: riesig, ordentlich in Schuss, schön geschnitten. Wäre nicht die Straße. Und wären nicht die Mitbewohner.

6.5. Martin-Luther-Straße, seit 2009
Ganz was anderes. Ein Altbau in der Hamburger Neustadt, mit Balkon, zu Fuß drei Minuten zur Elbe, gegenüber des Michels. Schöner als man es sich vorzustellen wagt. Natürlich auch nicht ohne Wermutstropfen: Die Wohnung ist kleiner als in der Bahrenfelder Chaussee. Und in Schuss gehalten ist sie auch nicht so richtig. Egal. Erstmal kann das hier bleiben.

Dienstag, 17. November 2009

Zwischenstand

Ich hänge mich rein. In die Themen Stadtentwicklung, Stadtkultur, Gentrifizierung. Ich habe mein Thema gefunden, und das beackere ich jetzt. Ich hänge mich da so sehr rein, dass ich mir die Frage stellen muss, ob ich zu dem Bereich überhaupt noch journalistisch arbeiten kann, oder ob ich da befangen bin (und bis jetzt bin ich der Meinung: ich kann es noch). Und dann kommt natürlich die weiter gehende Frage: Weshalb mache ich das überhaupt? Ist das eigentlich Meines, bin ich überhaupt legitimiert dazu, als jemand, der von Gentrifizierungsprozessen womöglich sogar profitiert, als jemand, der, tut mir leid, immer noch mehr Kunsttheoretiker ist als Sozialpraktiker, als jemand, der weder persönlich betroffen ist noch etwas Entsprechendes studiert hat? Keine Antwort, bis jetzt.

Im Hamburger Gängeviertel diskutierten heute abend der Künstler Christoph Schäfer, Professorin Ingrid Breckner von der Hafencity Universität und der Soziologe Andrej Holm, Popstar des Gentrification-Diskurses. Es ging um Stadttheorien, um die Idee von Stadt als Unternehmen und um die Funktion von Orten wie dem Gängeviertel als Widerstandsnester gegen solche Vorstellungen. Und am Ende ging es eben auch darum, dass die Stadt Hamburg versucht, diesem Widerstand die Luft rauszulassen, indem sie dem Gängeviertel eine Perspektive bietet. "Worpswede in der Innenstadt" nannte Schäfer das, und Holm stellte im Bezug auf den US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida klar, dass Hamburg eben gar nichts gegen ein Biotop für Künstler hat, solange die sich auf die Kunst beschränken und bitteschön keine weiteren Fragen stellen. Während, das sollte auch nicht verschwiegen werden, von links die andere Behauptung kommt: dass die Künstler nämlich grundsätzlich die falschen Fragen stellen würden, dass das soziale Thema von Künstlern gar nicht angesprochen werden könne, während das Thema Genrifizierung hingegen ein rein soziales Thema sei.

Und plötzlich wusste ich, weswegen ich dabei war. Weil nämlich ich mich ebenso wie das Gängeviertel irgendwo dazwischen bewege, irrlichtere, wenn man so will. Soziale Fragen stelle, ohne auf die Kunst verzichten zu wollen, mich mit Kunst beschäftige, ohne das Soziale zu vergessen. Weil ich nicht Fisch bin und nicht Fleisch.

Nachdem die anschließende Diskussion sich plötzlich um Themen wie "Wir müssen uns auch einmal alle fragen, weswegen wir in den großen Ketten einkaufen und nicht in den kleinen Läden", da hatte ich plötzlich keine Lust mehr und ging lieber Kunst gucken. Die war übrigens toll.

Passend zum Thema mal wieder Musik: die leider nicht mehr existenten Kinderzimmer Productions mit "Irgendwo zwischen" (2004):

Dienstag, 3. November 2009

Im Wald. Hinter den Bergen.

Der geschätzte Don Alphonso schreibt über Lokaljournalismus. Und kommt zu dem Schluss, dass der Lokaljournalismus schlecht ist: Die Autoren sind uninspiriert, zeigen keinerlei Engagement, sind unterbezahlt. Der Don berichtet von einem Tageszeitungsredakteur, der bei ihm zur Untermiete gewohnt habe und von 700 Euro netto im Monat leben musste, was mir allerdings sehr wenig erscheint. Wir reden, soweit ich das richtig sehe, von Ingolstadt, da erscheint der Donaukurier – und die sind doch tarifgebunden, nein? Und selbst bei untertariflicher Bezahlung: 700 Euro? Egal, dass Journalisten schlecht bezahlt werden, ist bekannt.

Auf jeden Fall erinnerte ich mich beim Lesen an meine ersten Gehversuche als Lokaljournalist. In einem Kaff im Hintertaunus. Wir waren ein kleines, lustiges Team, das fröhlich die tägliche Lokalausgabe einer regionalen Mantelzeitung zusammenkloppte. Waren wir uninspiriert? Kaum. Zeigten wir kein Engagement? Doch, wohl taten wir das. Waren wir unterbezahlt? Natürlich (wobei trotzdem mehr als 700 Euro übrig blieben). Untalentiert, ohne Ideale, zu blöd für einen ordentlichen Job? Doch, so lauten die Vorwürfe in Dons Kommentarspalte, ganz ohne Ironie.
Aber mal ernsthaft: Woran lag es, dass das Blatt trotz unseres Engagements, trotz unseres Talents, trotz unserer Ansprüche schlecht war? Zum Heulen schlecht?

Es lag daran, dass ein gutes Blatt gar nicht gewollt war. Man kann als Journalist natürlich darauf verzichten, Vereinsberichterstattung zu machen, man kann hart politisch recherchieren (und sage niemand, dass das Lokale da keine Themen biete. Die liegen auf der Straße, von der Auftragsvergabe für die Sanierung des Gemeindehauses bis zur nicht ganz korrekt verlaufenen Grundstücksverteilung im Neubaugebiet), man kann die Herrschenden mit Fakten angehen. Nur interessiert das keinen. Die Leute wollen das nicht lesen, die erwarten das nicht mal. „Ach, euch les’ ich nicht, bei euch stehen doch nur Berichte über den Kaninchenzüchterverein“ – wie häufig habe ich so etwas gehört. Da konnten wir noch so deutlich sagen, dass wir keine Vereinsberichterstattung machten, das wurde einfach nicht wahrgenommen. Die einzigen, die es wahrnahmen, waren die Kaninchenzüchter. Und die hassten uns dafür.
Talentiert, engagiert, unterbezahlt. Gehasst, nicht ernstgenommen. Es war keine gute Zeit, im Hintertaunus. Und dann vergisst man über kurz oder lang mal, dass man Talent hat, dann schreibt man einen Text, der sprachlich suboptimal ist, dann zersägt man ein Argument, dann formuliert man eine Meinung, die eben doch nicht durch so eine gründliche Recherche gedeckt ist, wie sie eigentlich sein sollte. Und, zack!, hauen sie auf einen drauf. Weil sie einen noch nie gemocht haben, weil sie nur eine Gelegenheit gesucht haben, zu beweisen, dass die Herren und Damen Journalisten keine Ahnung haben. Zu blöde sind für einen ordentlichen Job.
Entschuldigen diese Erfahrungen schlechten Journalismus? Auf keinen Fall. Erklären sie ihn? Ein bisschen.

Seit Jahren bin ich weg, keinen Tag habe ich es bereut, den Lokaljournalismus aufgegeben zu haben. Aber klar ist mir: Es ist wichtig, dass es Leute gibt, die diesen Journalismus gut machen. Und noch wichtiger ist, dass es Leser gibt, die wissen, was sie an dieser Art Journalismus haben. Insbesondere bei letzterem habe ich große Zweifel, nachdem ich Dons Text und die entsprechenden Kommentare gelesen habe, erst recht.

Sonntag, 1. November 2009

Die Schweiz

Die Schweiz war für mich immer eine Art Sehnsuchtsziel. Die waren dort immer ein Stück weit internationaler als in meiner schwäbischen Heimat, gleichzeitig aber auch nicht so sehr international, dass ich Angst hätte bekommen müssen. Viersprachig, weltoffen, aber eben mit hohen Bergen und tiefen Schluchten. In der Schweiz konnte man eine Ahnung von der großen Weite bekommen, sich aber in der Weite zu verlaufen, das dürfte schwierig werden.

Die Schweiz war für mich das Gegenstück zu Österreich. Österreich war Provinz, die Schweiz war sprühendes Leben, in völliger Verkennung der statistischen Realität, die der größten Stadt Österreichs, Wien, 1,7 Millionen Einwohner bescheinigte, während in der größten Schweizer Stadt, Zürich, gerade mal knapp 300000 Menschen lebten. Trotzdem war Österreich stockkatholisches Bauernland, während in der Schweiz coole Banker in der mir fremden Geisteshaltung Calvinismus die Zukunft entwarfen.

Überhaupt, Österreich. Mit dem Alpenverein wurde ständig nach Österreich gefahren, da man auf Grund irgendwelcher bilateraler Abkommen dort gratis in Berghütten nächtigen dürfte. Auf dem Gipfel grüßten einen die Österreicher mit "Berg Heil!", während ich traurig nach Westen schaute, dort das Rheintal und weiter hinten der Felsstock des Säntis, ach, die Schweiz!
Bilaterale Abkommen zwischen Österreich und der BRD, das gab es doch früher schon einmal, da wuchs zusammen, was irgendwie zusammen gehörte. Ganz anders die Schweizer: Die waren so ähnlich wie wir, nur eben keine verkappten Nazis. Dass die Schweizer Banken fröhlich Nazigelder verwalteten, dass die Schweizer ein Volk heftigst hochgerüsteter Militaristen waren, dass Christoph Blocher und seine SVP der österreichischen FPÖ in Punkto Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit kaum nachstanden, das interessierte mich nicht. Die Schweizer sagten zum Schwarzen "Negerli", und ein Negerli, das haute man doch nicht. Das herzte man.

Überhaupt, die Sprache. Immer ein "-li" an jedes zweite Wort rangehängt und das "R" hübsch gerollt, dann klappt das schon. Falsch! Die Schweizer hassen es, wenn Deutsche (die übrigens alle "Schwaben" oder "Nazis" genannt werden) ihre ureigene Sprache Schwyzerdütsch nachzumachen versuchen. Sie hassen uns ohnehin.

Aber: Stephan Eicher! Züri West! Young Gods! No Secrets in the Familiy! Baby Jail! Jellyfish Kiss! Saalschutz!
Was ich eigenlich sagen will: Gestern sah ich den sehr netten, sehr harmlosen, sehr charmanten Film "Die Standesbeamtin", in dem die wunderbare Marie Leuenberger höchts porös durch die Juraausläufer des Mittellands irrt, in dem viel rustikal schlageriger Mundartpop zu hören ist und in dem ohne Unterlass Schwyzerdütsch parliert wird. Und das ist wirklich sehr, sehr schön.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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