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Samstag, 14. Februar 2009

Morrissey

Vorwort
Steven Patrick Morrissey, geboren 1959 in Manchester als Kind irischer Einwanderer. Katholik, Migrationshintergrund. Von 1982 bis 87 Sänger der Band The Smiths, seither solo.

1. Pubertät
Morrissey singt über die schlimmste Zeit im Leben. Morrissey singt über das Erwachsenwerden, über das Erwachen, über die Pubertät. Morrisseys Texte sind zum Sterben traurig und zum Schreien lächerlich. "There's a club if you'd like to go/You could meet somedody who really loves you/So you go and you stand on your own/And you leave on your own/And you go home and you cry/And you want to die." ("How soon is now?", aus: The Smiths, "Hatful of hollow", 1984) Sterben, wollten wir damals alle, nein? "If you're so funny/then why are you on your own tonight?/And if you're so clever/then why are you on your own tonight?/If you're so very entertaining/then why are you on your own tonight?/If you're so very good-looking/Why do you sleep alone tonight?/I know/'Cause tonight is just like any other night/That's why you're on your own tonight." ("I know it's over", aus: The Smiths, "The queen is dead", 1986). Das Gesamtwerk Morrisseys besteht fast ausschließlich aus solchen Texten: Du hast keine Chance. Daran wird sich nie etwas ändern. Falls dir jemand erzählt haben sollte, dass es besser wird: Er hat gelogen. Gut für den Autor: dass die Pubertät mittlerweile bis ins hohe Alter verlängert ist. Eigentlich sollten wir erwachsen werden. Wir werden es aber nicht, deswegen behalten auch Morrisseys Texte weiter ihre Gültigkeit. Für uns.

2. Sex
Ungenau wird "queer" (eigentlich: "seltsam") gerne mit "schwul" übersetzt. Dabei meint Queerness etwas anderes: eine Sexualität jenseits strenger Kategorien wie Hetero-, Homo- oder Bisexualität. Michael Stipe von R.E.M. ist queer. Morrissey ist queer, im angedeuteten Zölibat früher Songs ("I'm writing this to say/In a gentle way/Thank you, but no/I will live my life as I/Will undoubtfully die - alone", "Will never marry" aus "Bona Drag", 1990) ebenso wie in den expliziten Passagen neuerer Texte ("Now I'm spreading your legs/With mine in-between", "Dear god, please help me" aus "Ringleader of the tormentors", 2006). Eigentlich geht es bei Morrissey immer um Sex, auch wenn es meistens darum geht, keinen zu haben. Wobei schon angemerkt werden sollte, dass der Autor vorgibt, keinen zu haben, weil er keinen haben will, während seine Hörer unter Umständen schon gerne hätten. Aber keinen kriegen.

3. Kunst
Oscar Wilde, William Butler Yeats. Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti. Die Schönheit großer Hollywooddiven, das Alter, der Verfall. "I’m throwing my arms around, around Paris/Because only stone and steel accept my love" singt Morrissey (in "I'm throwing my arms around Paris", aus "Years of refusal", 2009), und wenn wir einmal annehmen, dass Paris diese Umarmung erwidert, dann muss man kein Freudianer sein, um zu erahnen, welche Funktion der Eiffelturm hier einnimmt. Ja, Morrissey brachte uns Kunst nahe, Literatur, Film, Architektur. Und, ja, leider ist Morrissey dabei irgendwo stehen geblieben, jeder Blick auf die Kunst ist bei ihm ein ironisches, schwärmerisches, spöttisches Beschauen des Verfalls. Von Postmoderne, von Dekonstruktion weiß er nichts, sein Kunstbild ist ein beschränktes, leider.

4. Nation
Davon müssen wir eben auch sprechen. Von den hässlichen Bildern, Morrissey in einen Union Jack gewickelt auf der Bühne, singt: "England for the english!" ("The national front disco", aus "Your Arsenal", 1992). Von Interviews, in denen Morrissey über England herzieht, das überschwemmt sei von Pakistanis und Indern. Wir sprechen hiervon: "I've been dreaming of a time when/To be english is not to be baneful,/To be standing by the flag, not feeling shameful/Racist or partial (...) I've been dreaming of a time when/The english are sick to death of labour and tories." ("Irish blood, english heart", aus "You are the quarry!", 2004). Das erinnert schwer an "Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche". Und das ist von Wilhelm II, beim Ausbruch des 1. Weltkriegs. Vielleicht ist das Rollenprosa. Vielleicht ist Morrissey tatsächlich ein Rechter. Vielleicht spricht hier auch nur jemand, der allzu häufig mit Migranten aneinander geraten ist, die wenig mit queerer Sexualität anfangen können. Was nichts daran ändert: Es ist hässlich.

5. Musik
Ja, die Musik. Man muss sagen: So originell Morrisseys Selbststilisierung ist, so gut seine Texte sind - seine Musik ist sterbensöde. Ein schwerfälliger Mix aus Hardrock, Glam, Punk und urbritischem Pubrock. Für den Morrissey wenig kann: Keine einzige Melodie hat er je selbst geschrieben, wahrscheinlich ist er schlicht unmusikalisch. "She said: "Eh, I know and you cannot sing!"/I said: "That's nothing, you should hear me play piano!"" ("The queen is dead", aus The Smiths, "The queen is dead", 1986). Zu Smiths-Zeiten hatte er noch einen kongenialen Komponisten wie Johnny Marr an seiner Seite, heute sind es Alain Whyte oder Boz Boorer. Kann man da mehr erwarten, von Leuten mit solchen Namen? Boz?

Nachwort
Morrissey trägt das Haar schütter. Morrissey wird grau. Morrissey bekommt Falten. Morrissey hat ganz schön einen Bauch. Alt werden. Auf den Backcover der aktuellen Single I'm throwing my arms around Paris gibt es ein Nacktfoto. So siehts aus.

Dienstag, 27. Januar 2009

Tricky

Tricky ist ein Guter. Einer, der mir elektronische Musik näher brachte, Rap, TripHop (obwohl Tricky, das muss ganz klar gesagt werden, nie, nie, nie TripHop machte). 1995, hatte ich in einem Tübinger Plattenladen mit liberaler Prelistening-Politik das erste Mal Gelegenheit "Maxinquaye" zu hören - schleppend, sexy, dunkel, cool. Ein Mann, eine Frau, noch etwas dahinter: So ähnlich mussten Serge Gainsbourgh und Jane Birkin gewirkt haben, damals. Eine Woche später eine kluge Besprechung in der Zeit (Ja! Guter Musikjournalismus ist wichtig!), kurz darauf gehörte mir die CD. Bis heute eine meiner liebsten.

Und vor allem: besser als das, was danach kam. Von Tricky lernen, hieß, zu akzeptieren, dass man auch dann ein Guter sein konnte, wenn man keinen Fuß mehr auf den Boden bekam. Obwohl, eigentlich war auf jeder Tricky-CD noch mindestens ein toller Song: "Poems" auf "Nearly God" (1995), "Christian Sands" auf "Pre-Millenium Tension" (1996), "Anti-Matter" auf "Vulnerable" (2003). Und daneben leider auch ziemlich viel bekifftes Kunstwollen, abgefuckte Langeweile, Props an falsche Freunde. Man kann wirklich nicht sagen, dass er es einem leicht gemacht hätte.

Auch seine jüngste Arbeit "Knowle West Boy" (2008) ist sicher kein Meisterwerk. Stellenweise Elektroblues, stellenweise ödester New Metal, stellenweise doch recht traditioneller HipHop. Macht Tricky HipHop? Ja, zumindest auf der inhaltlichen Ebene ist Council Estate (2008) eine Art britische Variante von Sidos "Mein Block". Wenn man davon absieht, dass Tricky die Seiten ganz klar benennt: Hier sind wir, diejenigen, die von der Gesellschaft ausgespuckt wurden, hier sind die Sozialwohnungsbewohner, Migranten, Schwule, Kleinkriminellen, Sprayer, Drogennutzer. Und dort sind die Bullen, die die Gesellschaft vor uns schützen sollen. Remember, boy, you're a superstar, das ist dann schon ein klein wenig was anderes als Sidos sozialdarwinistischer Schlagerrap.

Council Estate - Tricky

Dienstag, 20. Januar 2009

Diamanda Galás

Die neue Wohnung ist kleiner als die alte. Daher muss ausgemistet werden, weg muss: Musik. Unmengen alter Platten in die Redaktion mitgebracht, wer will, darf sich nehmen. Am Ende bleibt wahrscheinlich das Zeug übrig, das sogar zum Lampenschirmbasteln zu schade ist. Tja. Was schon weg ist: Diamanda Galás, "You Must Be Certain of the Devil" (1988). Eine Gelegenheit, das Video zu Double-barrel prayer zu posten - zu Diamanda Galás fällt mir nämlich mittlerweile nichts weiter ein.

Eigentlich traurig, wie Musik, die einem mal viel bedeutet hat, so einfach verschwindet. Unwichtig wird.

Dienstag, 13. Januar 2009

Saalschutz

Ende der Neunziger verabschiedete ich mich von Indie, von Punk, von Rock. Rock war tot, Rock war reaktionär. Und was die Punks da machten, war auch Rock, gefangen in der faschistoiden Songstruktur, nur mit schlechter PA und grottigen instrumentalen Fähigkeiten. Ich begann, zunächst Techno zu hören, später dann Frickelelektronik. Und verdrängte, dass mir etwas fehlte.

Denn natürlich stimmte das alles gar nicht. Ja, Songstrukturen sind Gefängnisse, die die Gefahr birgen, dass man sich in ihnen bequem einrichtet, wieder und wieder das Gleiche produzierend. Aber einerseits heißt das noch lange nicht, dass sie faschistoid seien, man muss nur darauf achten, dass sie nicht langweilig werden. Und andererseits sind das Gefahren, die in der elektronischen Musik genauso drohen, man muss nur mal horchen, welch konventionelle Langweile Techno mittlerweile ausstrahlt.

Auftritt Saalschutz, zwei Zürcher Punks, die die schlecht gestimmten Gitarren durch heftigst übersteuerte Sampler ersetzt haben. Exzess, Hardcore: "Gesamtwerk verbrannt, Gesamtwerk verbrannt!/Eines Tages sterbe ich mit dem Sequenzer in der Hand" (aus "Lied mit den Suggestivfragen", 2006). Gleichzeitig, bei aller Überdrehtheit, ein genaues Wissen darum, wie die beschriebene Welt tickt: "Ich fragte sie, ob sie was von Kunst weiß./ Sie sagte mir: ,Ich bewege mich im entsprechenden Dunstkreis'" (aus "Leerer, inhaltsloser Ausdruck", 2004). Zwei CDs bislang, Elektropop, Eighties-Anleihen, Techno, HipHop, French House. Alles darf, nichts muss.
Saalschutz geht es um Spaß an der Abfahrt, das ist Techno. Saalschutz geht es um die politische Brisanz des Dillettantismus, das ist Punk. Saalschutz geht es um die Möglichkeiten, die ein grenzenloser Zugriff auf jedes musikalische Genre ermöglicht, das ist das 21. Jahrhundert. Kein Schwarz, kein Weiß, keine Grenzen mehr. Ein kleines Meisterwerk: Richtige Deejays aus der charmanten zweiten Saalschutz-CD "Saalschutz macht's möglich" (2006).

Saalschutz - Richtige Deejays

Samstag, 10. Januar 2009

Sisters of Mercy

Die Sisters of Mercy machten alles richtig. Eine stilbildende Waverock-Platte veröffentlicht ("First and last and always", 1985), vor meiner Zeit und so immer als dunkler Stern am Himmel, ach, hätte man das doch schon erleben dürfen. Ein schwer verfettetes Progrock-Werk ("Floodland", 1987) mitten in einer für meine musikalische Geschmacksausbildung wichtigen Zeit. Und damit sogar in den Charts gelandet. Eine sägende Darkmetal-CD ("Vision thing", 1991), nicht wirklich zugänglich in ihrer Aggression und damit der Beweis: Wir haben es hier mit Verweigerern zu tun. Und dann einfach verschwinden. Nichts mehr veröffentlichen, zwei Best-of-CDs noch, Remixe, immer wieder einzelne Songs online gestellt, in zweifelhafter Soundqualität, bei denen man nicht wusste, ob sie wirklich neu waren oder doch nur Abfallprodukte aus den Frühneunzigern. Nichts mehr machen.

Die Sisters waren grauenvoll, all das, was man am nicht gerade schreckensarmen Darkwave hassen mochte. Sie waren unglaublich prätentiös. Sie nahmen sich viel zu wichtig. Sie hatten keine Umgangsformen. Ohnehin waren sie immer nur der größenwahnsinnige Sänger Andrew Eldritch, zwei, drei ständig ausgetauschte Gastmusiker und eine Drummachine namens (Achtung, Witz!) "Doctor Avalanche". Sie waren politisch problematisch. Ja, die Ästhetik hatte einen gewissen Rechtsdrall: die Inszenierung Eldritchs als Führerpersönlichkeit, die maschinenartige Kälte, die für eine britische Band eigenartige Bezugnahme auf Deutschland ("I'm looking for the can in the candystore/2000 Hamburg 4" aus "Vision thing", 1991. "There's a lighthouse in the middle of prussia/a white house in a red square/I'm living in films for the sake of russia/a kino runner for the DDR" aus "Mother Russia", 1988 ... oder war das schon Satire?). Ungefähr wie Bowie zu seiner Berliner Zeit.

Aber irgendwie sind die Sisters auch ein großer Spaß. Mal ehrlich: Kann man das ernst nehmen? Dieses exaltierte Gesinge, die Sonnenbrillen, das Raunen? Immer wieder tauchen die Sisters auf Wave-Festivals auf, uninspiriert spielen da ein paar Mietmusiker einen stumpfen Rockstiefel runter, eine Gestalt, die vielleicht Andrew Eldritch sein könnte, singt, vielleicht, man weiß es nicht - er ist kaum zu erkennen, im Bühnennebel. "Wenn der Regisseur nicht weiter weiß/vertraut er gern aufs Trockeneis" heißt ein geflügeltes Wort im Theater. "Meanwhile in the Sheraton/Doctor Jeep plays on and on" ("Doctor Jeep", 1991). Nichts mehr machen, sich keine Mühe mehr geben, verschwinden.

Kann man darüber lachen? Man kann, kurz vorm irre werden. Wie in Lucretia, my reflection aus dem, muss ich zugeben, wunderbaren Sisters of Mercy-Album "Floodland" (1988).

Sonntag, 4. Januar 2009

Tomte

1.
Versuche, Tomte nicht zu mögen. Tomte sind: musikalisch öde. Textlich zu sehr eins zu eins. Inhaltlich white male corporate heterosexual rock. Tomte sind eine hierarchische Struktur, vollkommen auf den Sänger Thees Uhlmann ausgerichtet. Tomte sind Gitarrist, Bassist, Keyboarder, Schlagzeuger und ein Sänger, der außerdem die zweite Gitarre spielt, die Bryan-Adams-Besetzung. Bier, Fußball, Jungsfreundschaft. Uhlmann kommt vom Land.

2.
Tomte lassen sich mit einem Begriff ganz gut charakterisieren: Wahrhaftigkeit. Uhlmann ist so einer, der wahrscheinlich wirklich glaubt, dass seine (seine!) Band durch ein unzerbrechliches Freundschaftsband zusammengehalten wird, und der trotzdem kein Problem damit hat, die Band eine Woche später rauszuschmeißen, ging eben nicht mehr, Probleme, glauben wir ihm. Es gibt ein paar zentrale Motive, die in Tomte-Songs immer wieder auftauchen: das Wissen, wo man herkommt ("Schreit den Namen meiner Mutter", 2003). Die große, wichtige, allumfassende Liebe ("Ich sang die ganze Zeit von dir", 2006). Der Alkohol, die Entgrenzung, der Exzess ("Wie siehts aus in Hamburg?", 2008). Die Freundschaft (Was den Himmel erhellt", 2006). Den Stolz auf das Erreichte (immer auf Konzerten: die ehrliche Freude über ausverkaufte Hallen). Eher nicht: Ironie. Auch nicht so: Politik. Uhlmann ist sicher ein aufrechter Linker, was nichts daran ändert, dass auch CDU-Wähler unverstört Tomte hören können.

3.
Das ist so schwer. Dieser eigenartige Schwanzvergleich mit Kettcar, "Ich habe den Längeren respektive mehr Platten verkauft als du, aber ich freue mich auch mit dir, wenn du mal gewinnst". Dieses Mittelständlerhafte. Dieses Muckertum, bei gleichzeitiger (nicht unsympathischer!) Betonung der Tatsache, dass Uhlmann als Sänger einer konsequenten Muckertruppe längst rausgeflogen wäre, wo er doch so gut wie keinen Ton trifft. Überhaupt, diese Stimme reißt vieles wieder raus.

4.
Denn dann kriegen mich Tomte doch immer wieder. Mit der springenden Nadel bei "Die Schönheit der Chance" (2003). Mit der Erwähnung meiner Studienstadt Gießen bei "Wilhelm, das war nichts" (2000). Mit den eindeutigen Smiths-Anleihen (Smiths! Metrosexualität, Jungfräulichkeit, Camp! Und das von Uhlmann!) bei "Ich sang die ganze Zeit von dir" (2006). Und mit den ersten 60 Sekunden von Heureka (2008).


TOMTE - Heureka from Kay Otto on Vimeo.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Kylie Minogue

Ich mochte Kylie Minogue eigentlich nie so besonders. Als die Australierin 1988 mit Plastik-Teeniepop debütierte, war ich starr auf schweren Düsterrock ausgerichtet. Als sie sich 1998 als coole Indiesau neu erfand, hing ich zwischen einer HipHop- und einer Elektronikschleife fest. Als sie 2001 zurück auf den Dancefloor stürmte, interessierte ich mich in erster Linie für Easy Listening, Nouvelle Chanson und Indie. Minogue folgte meinem Geschmack mit erschreckender Genauigkeit: Sie war immer dort, wo ich gerade nicht war.
Erst vor zwei, drei Jahren wurde mir dieser um einige Takte versetzte Gleichschritt klar: Kylie Minogue war wie ich. Und der grundsympathische, zum Schreien naive Discopop, der insbesondere in queeren Kontexten die Discokugel zum Glänzen brachte, war meiner Plattensammlung ähnlicher als ich es mir eingestehen wollte. Man höre nur die erste echte Hitsingle nach Kylie Minogues Comeback 2001, Can't get you out of my head: Lalala-lala-la-la-la, Lalala.

Besser könnte ich das auch nicht ausdrücken.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Bob Dylan

Matthias wies mich darauf hin, dass Bob Dylan unbedingt einmal in der Bandschublade auftauchen müsse. Da gibt es nichts gegen zu sagen, der Herr Zimmermann ist ja wirklich ein Guter. Nie stehen geblieben, immer offen für Neues, formal wie inhaltlich jenseits von Konventionen. Bob Dylan war politisch, wo man politisch sein musste, er schrieb in Gänsefüßchen, wo man indirekt sein musste, er griff zum akustischen Instrument, als er es sollte, er holte die E-Gitarre, als E-Gitarren das richtige Mittel zum Zweck waren. Bob Dylan machte immer alles richtig, und die Einflüsse, die er auf die gesamte Musik- und Kunstszene hatte (Johnny Cash! Nick Cave!), lassen sich gar nicht abschätzen.

Und ich habe einfach keinen Draht zu ihm.

Nein, tut mir leid. Mit dem Kopf erfasse ich problemlos, wie bedeutend Bob Dylan als Musiker, Autor, Kulturikone ist. Aber ich höre das nicht, es interessiert mich nicht die Bohne. Bob Dylan ist für mich in der Musik, was Aki Kaurismäki im Kino ist: ein großartiger Künstler, dessen Qualität ich ohne mit der Wimper zu zucken anerkenne - und mit dem ich mich freiwillig nicht beschäftigen mag. Tut mir leid.

Obwohl: Subterranean Homesick Blues, der Song, zu dem Bob Dylan 1965 das erste künstlerisch eigenständige Musikvideo drehte, ist schon großartig, indeed.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Die Sterne

Bei beginnendem Schneetreiben fahre ich mit dem Überlandbus durch die Nacht ins Wetzlarer Franzis. Es spielen: Die Sterne aus Hamburg, eine Band, die ich gerade mit ihrer zweiten CD "In echt" für mich entdeckt hatte, Indiejungs mit einem Gespür für Jazz, hochpolitische Texter mit einem Gespür für Intimes, Rocker mit einem DJ im Schlepptau.
Meine Güte, wir hatten 1994.
Nach dem Konzert: dichte Schneedecke, als mich endlich jemand mit zurück nach Gießen nimmt, schliddern wir mehr über die Autobahn als dass wir fahren.

Seit 1994 war ich auf unzähligen Konzerten von den Sternen, in Marburg und in Berlin, in Gießen und in Hamburg, mehrmals. Verloren gab ich die Sterne nie, nicht nachdem sie als erste Hamburger-Schule-Band bei einem Majorlabel unterschrieben, nicht nachdem es mit dem großen Erfolg doch nichts wurde, nicht nachdem sie nach und nach zu Dienstleistern wurden, alle zwei Jahre eine neue Sterne-Platte, warum nicht, ist doch schön. Und dann aufs Konzert. Die letzten CDs "Das Weltall ist zu weit" und "Räuber und Gedärm" wurden von der Masse so mitgenommen, habe ich nicht verstanden - das waren doch gute Platten.
Die Sterne machten vieles. Die Hamburger-Schule-Variante von HipHop, Krautrock, Politrock, mit dem weithin unterschätzten "Wo ist hier?" lösten sie 1999 die Grenzen zwischen Song und Track auf. Zuletzt wurden Die Sterne immer rockiger, manchmal hörte man lupenreinen Siebziger-Hardrock aus den Songs raus, das gefiel mir nicht besonders, ich musste aber zugeben: Es funktionierte. Die Sterne wurden zur Band, der ich nicht böse sein konnte. Weil Die Sterne auch solche Rockismen klug ironisch zu brechen wissen. Bester Beweis: das Video zu Gerechtes Brett (2003).

Montag, 15. Dezember 2008

The The

Willkommen, Indie. 1988 kaufte ich mir mit zwei Jahren Verspätung die The The-CD "Infected", überrannt von Form wie Inhalt. Um was ging es hier? Dancefloor, Jugendzentrum, Kunst? Politik? Matt Johnsons Alter Ego The The war ein britisches Bandprojekt, das irgendwo in Punk und New Wave wurzelte, gleichzeitig jedoch in die Songs packte, was sich packen ließ. Johnson räsonierte über die soziale Kälte im Thatcher-England, ließ amerikanische Kampfflugzeuge über dem Persischen Golf abstürzen und bastelte drastische Vereinzelungs-Minidramen. Dazu gab es einen atemberaubenden Soundmix zwischen Jazz, Folk, Elektropop, alles aus dem Geist des Punk. Außerdem hatte Johnson zu jedem der Songs eigene Musikvideos gedreht - und zwar nicht die Eighties-typischen neonverfärbten Werbefilmchen, sondern kunstsinnige, politisch wache Kurzfilme. In ein Genre pressen ließ sich das alles nicht mehr, also nannte ich es fortan Indie. Das ist Indie für mich heute noch: eine Kultur, die nicht nach Kriterien wie schwarz-weiß, wir-ihr, innen-außen unterscheidet.

Ich blieb The The recht lange treu, auch nachdem Johnson irgendwann den Islam als Feindbild entdeckt hatte, auch nachdem sich seine Platten immer mehr handgemachtem Rock annäherten und den vielschichtigen Reiz der frühen Arbeiten verloren. Erst als er sich 1995 mit dem Hank-Williams-Tribute "Hanky Panky" als Countrycrooner neu erfinden wollte, wusste ich nichts mehr mit Johnson anzufangen. Das 2000er-Album "NakedSelf" gab ich verloren, The The waren endgültig zu konservativen Folkexistezialisten in US-amerikanischer Tradition geworden, Johnson nach New York gezogen, das durfte alles sein, nur mittlerweile ohne mich. Ein Song wie Slow train to dawn (von "Infected", 1986) im Duett mit Neneh Cherry gelang The The bis dato nicht mehr.

Aus der Bandschublade

Die Bandschublade war einmal ein Musikblog. Es ging um Bands, die mir einmal wichtig waren. Bands, die ich vergessen habe. Bands, die mir ein bisschen peinlich sind. Bands, zu denen ich grundsätzlich mal etwas sagen wollte. Bands, die ich heute immer noch gerne höre. Die Bandschublade ist heute: Ein Blog über alles und jedes. Ein Blog über Kunst und Kultur. Ein Blog über Politik. Ein Blog über das Leben in der Stadt. Ein Blog über mich und dich und uns. Und auch ein Musikblog, immer noch. Kommentare sind im Rahmen der üblichen Freundlichkeitsgepflogenheiten erwünscht, natürlich.

Der Autor

Falk Schreiber, Kulturredakteur, Hamburg / Kontakt: falk (dot) schreiber (at) gmx (dot) net / Mehr im Web: Xing, Facebook und Myspace

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Zuletzt aktualisiert: 20. Jun, 17:37

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